Frankfurter Rundschau, 23.11.2000

"Kehrt heim aus dem Palästina-Exil"

In Israel wächst die Kritik am Erhalt der Siedlungen im Gazastreifen / "Fremdes Land"

Von Inge Günther (Jerusalem)

Auch unter Israelis wird der Ruf nach Aufgabe jüdischer Siedlungen, vor allem jener in Gaza, lauter. So appellierte der namhafte Schriftsteller A. B. Jehoschua am Mittwoch im Massenblatt Yediot Achronoth an die Siedlerschaft: "Zeigt Mut und Weisheit und kehrt freiwillig in den Staat Israel zurück."

Yehoschua gilt als Linker, aber doch dem Mainstream verhaftet. Das von ihm ausgemachte "Phänomen" in der israelischen Gesellschaft ist daher kaum als Wunschdenken eines "Peaceniks" abzutun. Viele Israelis lasse inzwischen selbst der Schmerz und die Trauer der Siedler unberührt, schrieb er in der auflagenstärksten Zeitung, in Anspielung auf den kürzlichen Schulbus-Anschlag in Gaza. "Selbst wenn euch eine Tragödie trifft, ärgern sich viele im Herzen über euch", insbesondere darüber, "wie ihr euch und uns Gefahren aussetzt, weil ihr euch mitten in der palästinensischen Bevölkerung einpflanzt". Verstünden denn die Siedler nicht den "schrecklichen Preis" der Ansiedlung dort, so Yehoschua weiter, die nur dank Bybass-Straßen, Checkpoints, Landkonfiszierung und dem Ausreißen kultivierter Plantagen möglich sei; insgesamt Maßnahmen, die den Palästinensern zu Hunderttausenden eine rechtlose Existenz unter der Besatzung aufzwingen?

"Uns liegt an eurem Schicksal und dem eurer Kinder. Kehrt heim aus dem Palästina-Exil." Nur so lasse sich der Staat Israel dauerhaft verteidigen und seine Zukunft unter friedlichen Nachbarn sichern.

Eine Position, die Israels größte Friedensorganisation Schalom Achschaf, eine der Arbeitspartei nahestehende Bewegung, voll teilt. "Heute ist klarer als je", betonte ihr Protagonist Arie Arnon, "dass die Siedlungen und ihre Umgehungsstraßen die größten Hindernisse sind, um ein Abkommen mit den Palästinensern und Sicherheit für die Israelis zu erreichen".

Auch politische Kommentatoren zweifeln zunehmend an Sinn und Zweck des Siedlungserhalts. Seit den Osloer Verträgen sei klar, schrieb der Journalist Sever Plotzker ebenfalls in Yediot Achronoth, dass die Siedlungen in Gaza "nur Verhandlungsmasse sind". Insgeheim wisse Likud-Chef Ariel Scharon das so gut wie Premier Ehud Barak oder dessen Vorgänger Benjamin Netanyahu. Nach den israelischen Angriffen, angeordnet als Vergeltung für das Bombenattentat auf den Siedlerbus, hätte Barak daher besser erklärt, dass Israel dort keine territorialen Forderungen habe. Man wolle zwar die Siedlungen nicht ohne Friedensvertrag räumen und ebenso wenig unter Beschuss oder der Androhung weiterer Terroranschläge. Aber was seinerzeit für Südlibanon gegolten habe, treffe auch auf den Gazastreifen zu. "Er gehört nicht uns, er ist fremdes Land."