Badische Zeitung, 22. November 2000

PKK-Chef Abdullah Öcalan klagt gegen die Türkei vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg

Kein Wort mehr vom kurdischen "Befreiungskampf"

Von unserem Korrespondenten Christian Rath

"Die PKK ist eine Terrororganisation, die keine Skrupel kennt." Der kernige Anwalt Sükrü Alpaslan vertrat gestern in Straßburg den türkischen Staat und dessen Todesurteil gegen den PKK-Chef Abdullah Öcalan. Doch wer erwartet hatte, dass nun Öcalans Anwälte ihrerseits die PKK - wie gewohnt - als "Befreiungsbewegung" verteidigen würden, sah sich getäuscht. "Hier geht es nur um die individuellen Rechte und das Leben von Herrn Öcalan", betonte dessen Anwalt Sydney Kentridge.

Vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte wurde über die Klage von Abdullah Öcalan gegen den türkischen Staat verhandelt. Seine Anwälte wollen in Straßburg erreichen, dass die Türkei wegen eines Verstoßes gegen die Europäische Menschenrechtskonvention verurteilt wird und der PKK-Chef ein neues Verfahren bekommt. Öcalan selbst konnte an der Straßburger Verhandlung zwar nicht selbst teilnehmen, doch atmosphärisch war der neue, friedliebende Öcalan im Gerichtssaal äußerst präsent. Seine Anwälte vermieden denn auch jede Politisierung des Verfahrens.

Noch vor zwei Jahren, als der Prozess gegen Öcalan begann, hatte sein Advokatenteam viel grundsätzlicher argumentiert. Die PKK befinde sich, so hieß es damals, mit der Türkei in einem "bewaffneten Konflikt", der auf gar keinen Fall mit den Mitteln des Strafrechts zu bewältigen sei. Den türkischen Gerichten wurde jede Legitimation abgesprochen, über Öcalan zu richten, eine Position, die auch mit völkerrechtlichen Gutachten untermauert wurde.

Doch in dem zehnköpfigen Advokatenstab, der Öcalan jetzt in Straßburg vertrat, waren die einst maßgeblichen Köpfe nicht mehr zu sehen. Es fehlte etwa der Bremer Links-Anwalt Eberhard Schulz, dem die neue unpolitische Richtung überhaupt nicht behagt, und auch Britta Böhler, die aus Freiburg stammende Amsterdamer Juristin, war gestern nicht dabei.

Ihr Nachfolger Sydney Kentridge konzentrierte sich jetzt ganz auf den Vorwurf, dass die Todesstrafe heute generell als "inhumane und entwürdigende Strafe" verboten sei. Das ist eine gewagte Argumentation, denn die Europäische Menschenrechtskonvention sieht die Todesstrafe ausdrücklich nicht als Verstoß gegen das "Recht auf Leben". Als die Konvention 1950 ausgehandelt wurde, war diese archaische Strafart auch in Europa noch üblich. Erst später wurde ein Zusatzprotokoll zur Abschaffung der Todesstrafe vereinbart. Ausgerechnet die Türkei aber hat es als einziger der 41 Staaten des Europarates noch nicht unterzeichnet und ist daher nicht an das Protokoll gebunden.

In diesem Punkt muss die Türkei also wohl nicht mit einer Verurteilung rechnen. Dennoch betonte ihr Anwalt Sükrü Alpaslan immer wieder: "Das türkische Parlament hat schon seit 16 Jahren kein Todesurteil mehr bestätigt." Das klang, als wollte er den Richtern von vornherein das schlechte Gewissen nehmen.

Andere Vorwürfe gerieten angesichts der Diskussion um die Todesstrafe eher in den Hintergrund. Dabei hatten Öcalans Anwälte anhand zahlreicher Punkte auch zu belegen versucht, dass der Kurdenführer in der Türkei "kein faires Verfahren" erhalten habe. So habe es zehn Tage gedauert, bis Öcalan erstmals mit seinen Verteidigern sprechen durfte, außerdem seien die Gespräche stets überwacht worden. Der türkische Vertreter Alpaslan räumte auch ein, dass es "in den ersten Tagen" einige Pannen gegeben habe. "Die Verantwortlichen haben sich zuerst ganz darauf konzentriert, Herrn Öcalan vor Anschlägen zu schützen", entschuldigte Alpaslan dies.

Denkbar ist, dass der Gerichtshof hier den einen oder anderen Punkt beanstanden wird und damit beiden Seiten das Gefühl eines juristischen Sieges gibt. Mit einem Urteil ist allerdings erst in einigen Monaten zu rechnen. Befasst ist mit dem Fall eine Kammer mit sieben Richtern unter dem Vorsitz der Schwedin Elisabeth Palm; deren Urteil kann auf Antrag beider Seiten anschließend noch von einer 17-köpfigen Großen Kammer überprüft werden.

Selbst wenn Abdullah Öcalan am Ende Recht erhielte in Straßburg, das Gericht könnte das Todesurteil jedoch nicht aufheben. Es dürfte nur einen Verstoß gegen die Menschenrechts-Konvention feststellen und die Türkei auffordern, diesen zu beseitigen. Bisher hat sich die Türkei jedoch insgesamt kooperativ gezeigt. Dahinter stecken nicht zuletzt politische Überlegungen Ankaras - schließlich strebt das Land eine Mitgliedschaft in der Europäischen Union an.