taz 22.11.2000

PKK-Führer Öcalan hofft auf Straßburg

Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte verhandelt über Öcalans Klage gegen die Türkei. Das Todesurteil kann nicht aufgehoben werden

STRASSBURG taz Abdullah Öcalan musste auf der Gefängnisinsel Imrali bleiben. Anders als Egon Krenz vor zwei Wochen hatte der PKK -Führer keinen Hafturlaub bekommen und musste die Verhandlung beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte ganz seinen Anwälten überlassen. Dabei geht es für Öcalan um alles. Vor rund einem Jahr bestätigte ein türkisches Berufungsgericht das Todesurteil gegen den PKK-Vorsitzenden. Seine Anwälte wollen nun in Straßburg erreichen, dass die Türkei wegen eines Verstoßes gegen die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) verurteilt wird und der PKK-Chef ein neues Verfahren bekommt.

Anwalt Sydney Kentridge konzentrierte sich ganz auf den Vorwurf, dass die Todesstrafe heute generell als "inhumane und entwürdigende Strafe" verboten sei. Eine mutige Argumentation, denn die EMRK sieht in der Todesstrafe ausdrücklich keinen Verstoß gegen das Recht auf Leben. Als die Konvention 1950 ausgehandelt wurde, war auch in Europa die Todesstrafe noch üblich. Erst später wurde ein Zusatzprotokoll zur Abschaffung der Todestrafe vereinbart. Die Türkei hat es aber - als einziger der 41 Staaten des Europarates - noch nicht unterzeichnet.

Andere Vorwürfe gerieten angesichts der Diskussion um die Todesstrafe etwas in den Hintergrund. Dabei hatten Öcalans Anwälte anhand zahlreicher Punkte auch zu belegen versucht, dass der Kurdenführer "kein faires Verfahren" erhalten hatte. So habe es zehn Tage gedauert, bis Öcalan erstmals mit seinen Verteidigern sprechen durfte, außerdem seien die Gespräche stets überwacht worden. Der türkische Vertreter Alpaslan räumte denn auch ein, dass es "in den ersten Tagen" einige Pannen gegeben habe. "Die Verantwortlichen haben sich zuerst ganz darauf konzentriert, Herrn Öcalan vor Anschlägen zu schützen", entschuldigte Alpaslan dies. Außerdem verwies er auf die Einschränkung von Verteidigerrechten bei Terrorismus-Verfahren in Deutschland. Diese seien in Straßburg auch nicht gerügt worden.

Mit dem Urteil ist erst in einigen Monaten zu rechnen. Befasst ist mit dem Fall eine siebenköpfige Kammer unter dem Vorsitz der schwedischen Richterin Elisabeth Palm. Deren Urteil kann auf Antrag beider Seiten anschließend noch von einer 17-köpfigen Großen Kammer überprüft werden. Selbst wenn Öcalan Recht erhielte, kann das Straßburger Gericht das Todesurteil nicht aufheben. Es könnte nur einen Verstoß gegen die Menschenrechts-Konvention feststellen und die Türkei auffordern, diesen zu beseitigen.

In der Straßburger Innenstadt demonstrierten gestern tausende Kurden und Türken. Auch das Verfahren im Gerichtshof für Menschenrechte fand unter strengen Sicherheitsvorkehrungen statt. CHRISTIAN RATH