Westdeutsche Zeitung, 21.11.2000

Verzweiflungstat aus Angst vor Abschiebung

Von Kornelia Roßkothen

Wuppertal. Als dem 47-jährigen Nedim Isik klar wurde, dass die Polizeibeamten ihn mitnehmen würden, wollte er sich das Leben nehmen. Es gelang gerade noch, den kurdischen Familienvater festzuhalten, als er sich aus dem Fenster stürzen wollte.

Dabei hatten die Polizisten am späten Sonntagabend gar nicht nach dem Mann gesucht, der mit Ehefrau und neun Kindern von der Evangelisch-reformierten Kirchengemeinde in Ronsdorf betreut wird. Sie waren wegen eines 16-jährigen vermissten Mädchens da, das bei Isiks zu Gast war. "Als ich hörte, dass es gar nicht um die Familie ging, wollte ich mich schon wieder zurückziehen", berichtet Pfarrer Jochen Denker. Dann aber überprüften die Polizisten die Personalien der Asylbewerber - und fanden im Computer den Hinweis, Isik sei zur Festnahme ausgeschrieben, solle abgeschoben werden.

Diese Computereintragung jedoch war veraltet. "Am 16. Februar 1999 haben wir beim Landeskriminalamt um die Löschung der Ausschreibung gebeten", sagt ein leitender Mitarbeiter der Ausländerbehörde. Isiks dürften zurzeit gleich aus zwei Gründen nicht abgeschoben werden: Die Eltern und ältere Kinder seien durch Vorfälle in der Türkei schwer traumatisiert, der Vater sei selbstmordgefährdet. Außerdem laufe für eines der Kinder noch das Asylverfahren. Die Duldung gelte bis zum 18. Dezember 2000.

Warum die alte Fahndungsausschreibung im Polizeicomputer nicht gelöscht wurde, konnte gestern noch niemand erklären. Ein Sprecher des Landeskriminalamtes (LKA) versicherte, man werde den Fall nachvollziehen. Unsicher war gestern auch, ob derartige Fahndungsausschreibungen und ihre Löschung von der Ausländerbehörde üblicher Weise zunächst an die Wuppertaler Polizei oder direkt ans LKA gegeben werden.

Davon abgesehen ist man in Ronsdorf aber auch über das Vorgehen der Polizei zornig. Obwohl Isiks das Dokument über die Duldung vorzeigten, sagt Pfarrer Denker, hätten die Polizisten auf der Festnahme bestanden. Jürgen Brenne jedoch, Sprecher der Wuppertaler Polizei, verweist auf das Protokoll des Einsatzes. Demnach sei diese Bescheinigung erst ganz zum Schluss aufgetaucht. "Daraufhin haben die Beamten sofort alle Maßnahmen beendet", so Brenne.

Nedim Isik ist zurzeit zur Behandlung in der Stiftung Tannenhof.