Saarbrücker Zeitung, 20.11.2000

Prozess gegen Kurdenführer unter der Lupe

Drastische Sicherheitsvorkehrungen in Straßburg - Öcalan-Anhänger wollen demonstrieren

Straßburg (afp). Unter drastischen Sicherheitsvorkehrungen befasst sich der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg ab Dienstag mit einer Klage des zum Tode verurteilten Chefs der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK), Abdullah Öcalan, befassen. Im Zentrum der Europastadt sind getrennte Demonstrationen von Anhängern des Kurdenführers sowie Angehörigen von türkischen Opfern der PKK angekündigt. Die Veranstalter erwarten über 15 000 Kurden und mehrere hundert Vertreter von Opfern. Zu der Verhandlung sollten nur angemeldete Besucher zugelassen werden. Einen Justizsprecher zufolge wurden jeweils rund 70 Zuschauerplätze für Kurden und Vertreter der Opfer sowie Journalisten reserviert.

Aus Furcht vor Ausschreitungen hat die Polizei den Demonstranten verboten, bis zu dem Gerichtshof zu ziehen. Das Gebäude soll abgeriegelt werden. Mit einem Urteil des Gerichts ist erst in mehreren Monaten zu rechnen. Die Anwälte des 51 Jahre alten PKK-Gründers hatten im Februar 1999, kurz nach der Festnahme Öcalans in Kenia und seiner Verschleppung in die Türkei, Beschwerde beim Gerichtshof für Menschenrechte eingereicht. Sie werfen der Regierung in Ankara eine ganze Reihe von Grundrechtsverletzungen vor. Dabei berufen sie sich auf die Artikel 2, 3, 5 und 6 der Europäischen Menschenrechtskonvention, die Angeklagten das Recht auf Leben, Freiheit, Unversehrtheit und ein faires Gerichtsverfahren garantieren.

Die Beschwerde richtet sich gegen die Umstände der Verschleppung Öcalans, seine Haftbedingungen auf der Gefangeneninsel Imrali und seinen Prozess vor einem so genannten Staatssicherheitsgerichtshof, an dem zeitweise ein Militärrichter beteiligt war. Der Prozess endete im Juni 1999 mit der Verurteilung des Kurdenführers zum Tode - unter anderem wegen Separatismus und Gründung einer terroristischen Vereinigung. Vor genau einem Jahr wurde die Vollstreckung des Todesurteils auf Antrag des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ausgesetzt. Die türkische Regierung sagte damals zu, sie wolle zunächst die Entscheidung der Straßburger Richter abwarten. Nach Angaben Ankaras wurden seit Beginn des bewaffneten Kampfes der PKK für ein unabhängiges Kurdistan in der Türkei 36 500 Menschen getötet. Die Türkei macht dafür die PKK verantwortlich.

Der Straßburger Gerichtshof wird zunächst entscheiden, ob die Beschwerde zulässig ist. Die wichtigste Voraussetzung dafür ist erfüllt, da in der Türkei der Rechtsweg ausgeschöpft wurde. Die Entscheidung über die Zulässigkeit wird bereits in wenigen Tagen erwartet. Mit dem Grundsatzurteil ist dagegen erst in mehreren Monaten zu rechnen. Verhandelt wird der Fall vor der Großen Kammer, der dem 17 Richter angehören.

Die Türkei ist Mitglied des Europrats und gehört zu den Unterzeichnern der Europäischen Menschenrechtskonvention. Somit ist Ankara verpflichtet, die Straßburger Urteile umzusetzen. In früheren Entscheidungen hatte der Gerichtshof bereits die türkischen Staatssicherheitsgerichte für nicht konform mit dem Recht auf ein faires Gerichtsverfahren gerügt. Daraufhin wurde in der zweiten Phase des Öclan-Prozesses der Militärrichter ausgeschlossen. An den Gerichtshof für Menschenrechte entsendet jedes Europaratsland - derzeit 41 - einen Richter. Seit seiner Gründung im Jahre 1959 hat der Gerichtshof mehr als tausend Urteile gefällt. Die Türkei wurde mehrfach verurteilt, unter anderem wegen schwerer Folter und Vergewaltigung von Kurden sowie der Zerstörung kurdischer Dörfer.