Frankfurter Rundschau, 20.11.2000

Streit über Asylrecht spaltet Unionsparteien

Rot-Grün lehnt Änderung des Grundgesetzes ab

Die Forderung der CSU, das individuelle Grundrecht auf Asyl abzuschaffen, hat Meinungsverschiedenheiten in der Schwesterpartei CDU deutlich gemacht. Bei der Bundesregierung und der FDP stieß der Vorstoß der CSU am Wochenende auf einhellige Ablehnung.

FRANKFURT A. M., 19. November (afp/dpa/rtr/ap/gra). Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) hat sich gegen eine Änderung des Asylrechtartikels im Grundgesetz ausgesprochen. Damit reagierte er auf die Forderung von CSU-Chef Edmund Stoiber, das individuelle Grundrecht durch eine institutionelle Garantie zu ersetzen.

Das Grundrecht auf Asyl stehe einer Regelung zur Zuwanderung nicht entgegen, sagte Schröder im ZDF. Er plädierte für einen Parteienkonsens beim Thema Zuwanderung, empfahl jedoch der Union, "zunächst eine eigene gemeinsame Position zu finden". Auf einer Tagung der europäischen Sozialisten in Amsterdam hatte er zuvor versichert: "Es wird auch in Zukunft eine Politik geben, die der humanen Verantwortung gerecht wird." Der rechtspolitische Sprecher der Grünen, Volker Beck, sagte in Berlin, für eine Verfassungsänderung gebe es noch nicht einmal eine einfache Mehrheit im Bundestag. Erforderlich wäre eine Zwei-Drittel-Mehrheit.

Auch der FDP-Vorsitzende Wolfgang Gerhardt wandte sich gegen eine Grundgesetzänderung. Das jetzige Asylrecht sei eine historische Lösung, auf die Deutschland stolz sein könne.

CDU-Politiker äußerten in Interviews ebenfalls Kritik an Stoiber. Der saarländische Ministerpräsident Peter Müller (CDU) betonte in der Welt am Sonntag, es sei die Position seiner Partei, sich zunächst für die Änderung einfacher gesetzlicher Vorschriften einzusetzen, um die Asylverfahren zu beschleunigen und Missbrauch zu bekämpfen. Müller ist Vorsitzender der CDU-Zuwanderungskommission.

Der ehemalige CDU-Vorsitzende Wolfgang Schäuble sagte, die Asylfrage werde in der CSU "ein bisschen anders" gesehen als in der CDU. Er wandte sich gegen eine Asylrechtsdebatte: Sie "bringt uns keine Vorteile". Dagegen befürwortete CDU/CSU-Fraktionschef Friedrich Merz den Vorschlag aus München. "Ich bin dafür, dass wir das Grundrecht auf Asyl umwandeln sollten in eine institutionelle Garantie, möglichst im europäischen Kontext." Die CDU-Vorsitzende Angela Merkel plädierte in Mainz dafür, den Missbrauch des Asylrechts einzudämmen, äußerte sich jedoch nicht zum Streit über das Grundrecht. Kommentar Seite 3

CSU gibt sich Europa-freundlich

ih MÜNCHEN. Mit einer harschen Kritik des CSU-Vorsitzenden Stoiber an der Europapolitik der rot-grünen Koalition ist am Wochenende der Parteitag der Christsozialen in München zu Ende gegangen. "Die Gespräche der Bundesregierung mit den Ländern Mittel- und Osteuropas und der Türkei werden im Stil der Geheimdiplomatie des 19. Jahrhunderts geführt, und die sind so transparent wie eine Sitzung des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei Chinas", sagte Stoiber.

Die Partei gab sich betont Europa-freundlich, knüpfte die geplante EU-Osterweiterung aber an Reformen. Eine erweiterte EU werde im globalen Wettbewerb der Wirtschaftsstandorte enorme Vorteile bringen, sagte Stoiber.