Nürnberger Zeitung, 20.11.2000

Karlsruhe verhandelt über Nürnberger Passfoto-Streit

Ohne Kopftuch ist keine Abschiebung möglich

KARLSRUHE (dpa). - Um das Kopftuch und zwei Iranerinnen geht es ab morgen beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe. Doch diesmal ist alles anders. Denn nicht muslimische Lehrerinnen fordern ihr Recht zum Tragen eines Kopftuches gegen die Ablehnung von deutschen Schulämtern. In diesem Fall möchte das Nürnberger Ausländeramt zwei Asylbewerberinnen aus dem Iran den religiösen Kopfschmuck geradezu aufdrängen. Freilich nicht, um sie zum Islam zu bekehren, sondern um die beiden zügig ins Land der Mullahs abzuschieben.

Denn die 36-jährige Frau und ihre 16 Jahre alte Tochter hatten mit ihrem Asylantrag keinen Erfolg, die Durchsetzung ihrer Ausreise war eigentlich nur noch Formsache. Zur formgerechten Einreise in den Iran gehört allerdings, dass der Pass einer Frau ein Bild mit Kopftuch enthalten muss. Daran hatten die Frauen, nach Auskunft ihrer Anwältin ohnehin keine bekennenden Musliminnen, kein Interesse.

Zwangsfoto auf der Wache

Die bayerischen Behörden wollten dies, mit dem Segen ihres Verwaltungsgerichtshofs, zwangsweise durchsetzen - wie sie es in einem anderen Fall bereits getan hatten: Anfang November 1999 brachten Nürnberger Polizeibeamte die 28-jährige Roya Mosayebi auf die Wache, setzten ihr ein Kopftuch auf und ließen sie ablichten. Die Frau wurde in den Iran abgeschoben, hat aber - wie so viele ihrer Landsleute - inzwischen Aufnahme in den USA gefunden.

Die Münchner Anwältin Gisela Seidler hat die Gesamtproblematik vor den Zweiten Senat des Bundesverfassungsgerichts gebracht, der ungewöhnlich schnell eine mündliche Ver handlung angesetzt hat. Dies zeigt, dass die Karlsruher Richter das Hauptargument der Anwältin, die Religionsfreiheit sei verletzt, zumindest für beachtenswert halten. Denn so wie zwei Lehrerinnen aus Lüneburg und Stuttgart das Kopftuch als Ausdruck ihrer religiösen Haltung tragen wollen, berufen sich die beiden Iranerinnen auf ihr Grundrecht, sich von jeglichem Religionsbekenntnis fern halten zu dürfen. Die Juristen nennen dies "negative Religionsfreiheit".

Am Rande der Fälschung

Sowohl der niedersächsische als auch der baden-württembergische Kopftuchstreit stützen ihre Argumentation: Das Verwaltungsgericht Lüneburg hatte im Oktober zu Gunsten einer Lehrerin entschieden, das Verwaltungsgericht Stuttgart im April anders herum - doch für beide stand außer Zweifel, dass es sich beim Tragen eines Kopftuchs um ein "demonstratives religiöses Bekenntnis" handele. Anders dagegen die bayerischen Richter: Mit dem Tragen des Kopftuchs für den kurzen Moment eines Fotos und unter Ausschluss der Öffentlichkeit werde keine religiöse Handlung verlangt. Zudem sei die Kopftuch-Anordnung weder diskriminierend für die Frauen, noch verletze sie ihre Menschenwürde. Sollte das höchste deutsche Gericht dennoch den beiden Iranerinnen Recht geben, bekämen die Frauen zunächst eine Duldung.

Im bayerischen Innenministerium war nach Angaben eines Sprechers bereits darüber nachgedacht worden, die Frauen auf den Fotos nachträglich per Computersimulation mit Kopftuch auszustatten - was allerdings eine Manipulation am Rande der Urkundenfälschung wäre.