web de 19.11.2000 09:01

Eine «Geberkonferenz» der anderen Art

EU-Verteidigungsminister bieten Soldaten für gemeinsame Truppe - Scharping stellt 18.000 Mann bereit - Krisenkräfte sollen 2003 einsatzfähig sein

Von AP-Korrespondentin Claudia Kemmer

Brüssel (AP) Bei «Geberkonferenzen» geht es gewöhnlich um Geld. Wenn die EU-Verteidigungsminister am Montag zu einer Geberkonferenz in Brüssel zusammenkommen, bieten sie kein Geld an, sondern Soldaten. Bis 2003 will die Europäische Union sich für Kriseneinsätze in Europa und angrenzenden Gebieten rüsten. 60.000 Soldaten sollen bereitstehen, um innerhalb von 60 Tagen und für mindestens ein Jahr in ein Krisengebiet entsandt zu werden. Bundesverteidigungsminister Rudolf Scharping hat schon den Löwenanteil von fast einem Drittel der Gesamtstärke zugesagt.

Rund 18.000 Soldaten will Deutschland für die Krisenreaktionstruppe der EU bereitstellen sowie zahlreiches Gerät - von Kriegsschiffen über Kampfflugzeuge bis zu Feldlazaretten. Nach Auskunft aus Delegationskreisen stellt die Marine 4.000, das Heer 11.650 und die Luftwaffe 6.500 Soldaten. Außerdem stehen 3.400 deutsche Logistik-Experten und 1.700 Sanitäter bereit. Addiert man die Summen, ergibt sich indes eine Gesamtzahl von 27.500. Die Überzahl an Einsatzkräften wird damit erklärt, dass die Bundeswehr je nach Krisensituation flexibel auf die Anforderungen reagieren und ihre Truppen unterschiedlich zusammensetzen muss.

Auch die EU rechnet mit einer solchen «Pool-Stärke» von 100.000 Soldaten, um die Struktur der jeweiligen Einsatztruppe zu variieren. Und das ist noch nicht alles: Zieht man in Betracht, dass die Soldaten nach einem Vierteljahr am Krisenort ausgetauscht werden müssen, kommt man auf eine realen Bedarf von 220.000 für einen einjährigen Einsatz. Was die EU-Staaten bislang an Truppen geboten haben, ist nach Auskunft eines EU-Diplomaten zufrieden stellend. Dem Vernehmen nach bieten Frankreich und Großbritannien jeweils 12.000, Italien und Spanien je 6.000, die Niederlande 5. 000, Griechenland 3.500, Portugal, Schweden, Österreich, Belgien, Finnland und Irland zwischen tausend und 2.000 und Luxemburg hundert. Lediglich Dänemark entsendet keine Truppen.

Während die Truppenzahl keine Probleme bereitet, gibt die Ausstattung eher Anlass zur Sorge. Mängel sieht der EU-Diplomat etwa hinsichtlich der Luft- und Seetransportfähigkeiten und im High-Tech-Bereich, beispielsweise bei den präzisionsgesteuerten Waffen. Die angebotene Ausstattung stimmt auch nicht immer mit dem Bedarf überein. So haben die Mitgliedsstaaten bereits 400 Kampfflugzeuge bereitgestellt, obwohl nur 250 benötigt werden. Umgekehrt würden 60 Flugzeuge zur Ausschaltung der Luftabwehr gebraucht. Davon stehen bislang aber nur 30 zur Verfügung. «Worum wir uns zwischen jetzt und 2003 kümmern müssen, ist die Qualität und die Bereitschaft der Truppe», sagte der Experte.

Personalquerelen überschatten Treffen

Bis zum EU-Gipfel in Nizza will die EU auch ihre Beziehungen zur Nato klären, auf deren Ausrüstung sie im Zweifelsfall zurückgreifen kann. Zu diesem Zweck kommen die EU-Verteidigungsminister in Brüssel auch mit ihren Nato-Kollegen zusammen, die nicht Mitglied der EU sind - wie die Türkei und Norwegen. Außerdem geplant ist ein Treffen mit den Verteidigungsministern der EU-Beitrittsstaaten, die sich ebenfalls an der Krisentruppe beteiligen wollen.

Überschattet wird die Geberkonferenz von Personalfragen. In der vergangenen Woche wurde überraschend und offenbar gegen den Willen Frankreichs der deutsche General Rainer Schuwirth zum Vorsitzenden des EU-Militärstabes gewählt. Nun versucht Paris, das nicht in die militärische Struktur der Nato integriert ist, einen französischen Kandidaten für den Vorsitz des Militärausschusses durchzuboxen. Dabei käme der französische Generalstabschef Jean-Pierre Kelche in Frage. Wer die Leitung des sicherheitspolitischen Ausschusses übernimmt, ist ebenfalls noch offen. Einige Mitgliedstaaten plädieren dafür, dass der außen- und sicherheitspolitische Repräsentant der EU, Javier Solana, zumindest in Krisenfällen das Szepter übernimmt. Solana hat immerhin Erfahrung. Während des Kosovo-Krieges war er Nato-Generalsekretär.