Die Presse (A), 18.11.2000

Die Doppel-Strategie des Baschar al-Assad

Syriens Präsident versucht sich durch außenpolitische Härte und innenpolitische Konzessionen zu profilieren.

"Presse"-Analyse von Christian Ultsch

Härte nach außen und vorsichtige Reformen im Inneren. Das ist der Kurs, den Syriens junger Staatschef Baschar al-Assad seit dem Tod seines Vaters im Juni dieses Jahres kontinuierlich verfolgt. Sein bisher stärkstes innenpolitisches Signal hat der 35jährige nun mit der Amnestierung von 600 politischen Gefangenen gesetzt. Unter den Freizulassenden sollen sich islamistische Moslembrüder, Kommunisten, aber auch 150 Oppositionelle aus dem Libanon befinden. Syrien hat im benachbarten Zedern-Staat 35.000 Soldaten stationiert. Nach dem Rückzug Israels aus dem Südlibanon ist erstmals auch offen Kritik an der syrischen Besatzung geübt worden. A la longue wird Baschar al-Assad eine neue Balance zwischen großsyrischem Machtanspruch und zumindest einer Lockerung der Herrschaftsmethoden finden müssen. Im Verhältnis zu Israel indes sind in absehbarer Zeit keine Positionsänderungen zu erwarten. Solange der gelernte Augenarzt seine Macht nicht konsolidiert hat, solange er von der alten Garde (allen voran Verteidigungsminister Tlass) abhängig ist, wird er kein Jota vom Pfad seines Vaters abweichen. Jegliches Zeichen von Kompromißbereitschaft würde ihm sofort als Schwäche ausgelegt. Insofern kommt ihm die jetzige Lage in Nahost entgegen. Eine Wiederaufnahme der im Jänner gescheiterten Verhandlungen über eine Rückgabe der Golanhöhen kommt ohnehin nicht in Frage, solange täglich "palästinensische Brüder" von israelischen Soldaten getötet werden. Und so übt sich Assad derzeit als Scharfmacher. Besondere Verärgerung rief er jüngst hervor, als er den Israelis "Neo-Nazimus" vorwarf. Während Assad an der anti-zionistischen Säule nicht rüttelt, versucht er das syrische Haus in Ordnung zu bringen. Doch auch hier gilt für den "General Doktor": Um seine Herrschaft nicht zu gefährden, muß er bei all der Popularität etwa seiner Anti-Korruptionskampagne vorsichtig treten. Agiert er allerdings zu langsam, droht der wirtschaftliche Zusammenbruch.