Frankfurter Rundschau, 18.11.2000

Wenn Richter "zeitgemäß" urteilen

Wie ging in den letzten Jahren die Justiz mit rechtsradikaler Gewalt um?

Eine Zwischenbilanz von Ingrid Müller-Münch

Seit über zwanzig Jahren beobachtet die FR-Korrespondentin Ingrid Müller-Münch Prozesse, in denen der Rechtsradikalismus eine Rolle spielt. Wie aber ging die Justiz im letzten Jahrzehnt, in dem sich die Taten mit rechtsradikalem Hintergrund häuften, mit diesen Gewalttaten um? Wir dokumentieren im Folgenden einen leicht gekürzten Vortrag, den Müller-Münch am gestrigen Freitag auf dem Forum der Justizakademie des Landes Nordrhein-Westfalen in Recklinghausen zum Thema: "Gewalt von rechts - Herausforderung der Justiz" gehalten hat.

Die Justiz, sagte dieser Tage Bundesgerichtshof-Präsident Günter Hirsch in einem Spiegel-Interview zum justiziellen Umgang mit rechtsextremistischer Gewalt, "die Justiz ist keine politikfreie Exklave im politischen Raum". Richter müssen demnach, so Hirsch, "Gesetze zeitgemäß interpretieren".

Genau das haben Richter getan, seitdem im September 1991 in der Lausitzer Braunkohlearbeiterstadt Hoyerswerda mit Springerstiefeln und Kampfhunden ausgerüstete Skinheads, unterstützt von einem fremdenfeindlichen Mob, Vietnamesen und Afrikaner mit Gewalt aus ihrer Stadt vertrieben. Aus eben diesem Grund, weil nämlich Richter die Gesetze "zeitgemäß" interpretierten, hat es so lange gedauert, bis die Justiz endlich angemessen auf neonazistisch motivierte Gewalt reagierte.

Fast zehn Jahre lang brauchte das Gros deutscher Juristen, um endlich zu begreifen, dass gegen Ausländer und Juden gerichtete Gewalttaten nicht nur "dumme Jungenstreiche" sind. Dass nicht allein der mahnend erhobene Zeigefinger hier Einhalt gebieten kann, sondern klare, eindeutige Positionen in Gesellschaft, Politik aber auch Justiz gefordert sind.

Solange die mit Springerstiefeln, Baseballschlägern und Molotow-Cocktails ausgeführten Gewalttaten heruntergespielt wurden, solange brauchten sich die Täter vor ihren Verfolgern nicht zu verstecken. Solange weder in Hoyerswerda noch Rostock Polizei den Gewalttätern Einhalt gebot, konnten sich die rechtsextremistischen Aufrührer vor staatlicher Verfolgung sicher wähnen und weiter Angst und Schrecken verbreiten.

Noch bis zum heutigen Tage wird immer wieder versucht, die Gewalt aus dieser Ecke zu verniedlichen: Erst kürzlich hatten Skinheads im thüringischen Altenburg ausländische Musiker überfallen. Prompt kommentierte dies ein Sprecher der Stadt mit den Worten: "Es waren keine Skinheads. Das war der Frust von dummen Jungs." Im Prozess gegen Gubener Neonazis versuchten Verteidiger vor wenigen Wochen erst die Hetzjagd ihrer Mandanten auf Ausländer, bei der einer der Verfolgten starb, als "dummen Jungenstreich" hinzustellen. Sie sprachen davon, dass die Skinheads lediglich "Räuber und Gendarm spielen wollten".

Diese Art Räuber-und-Gendarm-Spiel, bei der tote und verletzte Ausländer, Behinderte, Schwule oder einfach nur anders aussehende Menschen auf der Strecke bleiben, wurde in Deutschland allzu lange verharmlost. Erst seit diesem Sommer bezieht Politik hierzu eindeutig Position. Erst seit einigen Jahren haben Richter von ihren milden Urteilen gegen rechtsradikale Brutalos abgelassen, haben Staatsanwälte begriffen, dass Ermittlungen zügig durchgeführt werden müssen, damit sie - wenn überhaupt - einen abschreckenden Effekt haben.

Jahrelang wurden Ausländer durch Stadtviertel getrieben, verprügelt, wurde gebrandschatzt, gedemütigt, gemordet, bis der BGH entschied, dass die Generalbundesanwaltschaft auch bei schwer wiegenden gegen Ausländer verübten Gewaltakten rechtsextremistischer Täter zuständig ist. Erst durch diese Entscheidung haben die obersten Richter deutlich gemacht, dass die innere Sicherheit dieses Landes durch derartige Taten gefährdet ist.

Der Ruf der Straße, das dumpfe Gedankengut deutscher Stammtische war in all den Jahren bis in die Gerichtssäle hineingedrungen und hatte dort die Entscheidungen beeinflusst. Zeitgemäß, wie es BGH-Präsident Hirsch nannte, auch wenn er es sicher so nicht gemeint hat. Die Anfang der 90er Jahre, zu Beginn der Terrorwelle gegen Ausländer, ergangenen Urteile mit ihren teils haarsträubenden Begründungen sind heute kaum noch nachvollziehbar. Wer weiß, ob sich die rechtsradikale Szene tatsächlich so rasant formiert hätte, wie sie es ja inzwischen tut, wenn Richter und Staatsanwälte gleich zu Beginn anders, entschiedener mit ihr umgegangen wären.

So zum Beispiel, als im Mai 1992 drei Mitglieder einer neonazistischen Jugendclique nur zu Bewährungsstrafen verurteilt wurden, obwohl sie einen Brandanschlag auf ein Flüchtlingsheim verübt hatten. Die Richter begründeten ihre Entscheidung damit, dass die Angeklagten mit ihrer Tat doch lediglich "ein Zeichen setzen" wollten.

Oder 1992, als das Bezirksgericht Frankfurt / Oder den Angeklagten, die den Angolaner Antonio Amadeu Kiowa in Eberswalde zu Tode gehetzt und geprügelt hatten, strafmildernd die "allgemeinen politischen und gesellschaftlichen Umstände kurz nach der Wende" zugute hielt und sie lediglich zu zwei und vier Jahren Haft verurteilte. Oder als Rostocker Jugendrichter die Teilnahme an den Pogromen vom August 1992 als "lediglich symbolisches Aufmucken" werteten.

Manchmal sagt ein Urteil mehr über die Gesinnung der Richter denn über die der Täter aus. Wie das vom Februar 1992 gegen einen 19-jährigen Skin, der in Ravensburg zu fünf Jahren Jugendstrafe wegen Totschlags verurteilt wurde. Der Neonazi hatten einen Angolaner erstochen. Seine Richter begründeten ihre Entscheidung mit einer Formulierung, die dem Opfer eine Teilschuld an dem Geschehen zusprach: "Wir mussten davon ausgehen", hieß es in der Urteilsbegründung, "dass die Hautfarbe des Opfers wesentlich zu der Tat beigetragen hat."

Es war die Zeit, als - so beklagte kürzlich der Bremer Rechtsanwalt und Publizist Rolf Goessner - die staatlichen Sicherheitsorgane, also Polizei, Verfassungsschutz und Justiz, die rechte Gefahr verharmlosten, sich indifferent und dilettantisch verhielten und bis hinein in die jüngere Zeit falsche Zeichen setzten. "Polizeiführungen", so beobachtete Goessner, hätten ebenso wie "Hundertschaften oder Einzelpolizisten häufig erstaunliche Nachsicht und Unentschlossenheit gezeigt. So hilflos und fußlahm sah man die staatlichen Strafverfolgungsorgane jedenfalls selten, wenn es gegen links ging", behauptet Goessner.

Auch Richter urteilten so, dass ausländerfeindliche Gewalttäter davon ausgehen konnten, selbst beim Werfen von Molotow-Cocktails auf Wohnhäuser mit einem blauen Auge davonzukommen. Als der 19-jährige Jens aus Hünxe im Oktober 1991, wenige Wochen nach den Ausschreitungen von Hoyerswerda, gemeinsam mit zwei Skinheads mitten in der Nacht einen Molotowcocktail auf das Schlafzimmer von libanesischen Flüchtlingskindern warf und zwei Mädchen schwer verbrannte, da dachte er nicht eine Minute daran, "dass das strafbar sein könnte". Mit diesen Worten drückte er jedenfalls seine Verwunderung darüber aus, dass er sich nach seiner Festnahme vor einem Vernehmungsrichter rechtfertigen musste.

Die Staatsanwaltschaft hatte zwar die drei Skinheads, die im Oktober 1991 Molotow-Cocktails auf das Hünxer Asylbewerberheim geworfen hatten und zwei schlafende Mädchen schwer verletzten, wegen versuchten Mordes angeklagt. Doch der Vorsitzende Richter der Duisburger Strafkammer spielte die ganze Sache schnell herunter.

Seine damalige Urteilsbegründung war von tiefer Sympathie mit den drei Tätern geprägt: Darin muss dieser Richter zwar einräumen, dass den Angeklagten schon allein auf Grund der nächtlichen Stunde und der unbeleuchteten Fenster klar gewesen sein musste, dass sich in den Zimmern, auf die ihre Molotow-Cocktails zielten, schlafende Menschen befanden. Dennoch verurteilte er sie nur wegen schwerer Brandstiftung und schwerer Körperverletzung zu fünf und dreieinhalb Jahren Haft.

Das Gericht ging damals, im Mai 1992 (ganz zeitgemäß) davon aus, dass man den Angeklagten nicht habe nachweisen können, beim Werfen ihrer Molotowcocktails den Tod von Menschen gewollt zu haben. Sie seien nervös gewesen, hätten sich in einer Ausnahmesituation befunden, so die einfühlsamen Worte des Vorsitzenden Richter. Die Angeklagten täten ihm persönlich Leid, fügte der Duisburger Strafkammervorsitzende hinzu.

Aus der Anfangszeit der bundesweiten Ausländerhatz, dem Beginn der 90er Jahre, sind dermaßen viele, dermaßen haarsträubend begründete Urteile in Zusammenhang mit neonazistischem oder ausländerfeindlichem Denken überliefert, dass die Frage im Raume steht: Welche Rolle hat die Justiz tatsächlich bei der Entwicklung rechtsextremistischer Gewalt in diesem Lande gespielt? Eins dürfte dabei feststehen: Die milden, den Tätern gegenüber teils ausgesprochen verständnisvollen Urteile haben mit Sicherheit ihren Teil zu dem anschwellenden Ausländerhass und seinen brutalen Folgen beigetragen. Vor allem, wenn sie die Fremdenfeindlichkeit der Bevölkerung noch juristisch unterstützten.

So wie die Entscheidung des Verwaltungsgerichts Hannover von Januar 1993, wonach ein Wohnheim für Flüchtlinge nicht im Stadtbereich gebaut werden durfte. Die Begründung hierfür lautete: Die von Asylbewerbern ausgehenden "Immissionen" seien den Nachbarn "nicht ohne weiteres zuzumuten".

Oder damals, im Mai 1992, als das Düsseldorfer Verwaltungsgerichts vierzehn Ehepaaren aus Wesel Recht gab. Die wohlanständigen Bürger hatten sich gegen den Umbau eines in ihrem Viertel stehenden Behördengebäudes in ein Asylbewerberheim gewehrt. Das Gericht gab ihnen aus "städtebaulichen" Gründen Recht. Empört kommentierte der Verwaltungschef der Stadt Wesel diesen Beschluss als ausgesprochen "unglückselige Rechtssprechung" die "Parolen" enthalte, die er "normalerweise nur von Rechtsradikalen" kenne.

Auch bei Volksverhetzung oder Aufstachelung zum Rassenhass zeigten sich die Richter Anfang der 90er Jahre nachsichtig. Im Februar 1994 wurden zum Beispiel drei Neonazis, die vor einem Übergangswohnheim im westfälischen Driburg fremdenfeindliche Parolen gegrölt hatten, vom Vorwurf der Volksverhetzung freigesprochen, obwohl sie "Ausländer raus" und "Wir wollen keine Asylheime" gebrüllt hatten.

Das Paderborner Landgericht entschied, dass die drei Neonazis mit ihren Parolen nur eine "verbale Kurzform für das gefunden" hätten, "was viele Bundesbürger meinen, dass nämlich zu viele Ausländer hier leben". Außerdem, so das Gericht, habe es sich bei dem Aufzug der Rechtsradikalen vor dem Heim doch nur um einen "ungeordneten und betrunken grölenden Haufen" junger Leute gehandelt, "die nicht ernst genommen werden müssen".

Wie anders reagierte da sechs Jahre später und nach vielen, vielen Morde, Hetzjagden und Überfälle auf Ausländer ein Amtsgericht in Havel, das im vergangenen August einen 37-jährigen Mann zu einer achtmonatigen Haftstrafe auf Bewährung und 1000 Mark Geldstrafe verurteilte, weil er des Nachts "Heil Hitler" und "Juden raus" skandiert hatte.

Seit den Anfangsjahren der gestiefelten Glatzengewalt gegen alles Fremde (es ist ja nur ein paar Jahre her) hat sich einiges getan in bundesdeutschen Gerichtssälen. Inzwischen ist klar und vom Bundesgerichtshof unmissverständlich ausgedrückt, dass diejenigen, die Brandsätze durch Wohnungsfenster werfen, wegen versuchten Mordes angeklagt und verurteilt werden müssen.

Nicht ohne Stolz verwies der oberste Bundesrichter Günter Hirsch jetzt darauf, dass es der BGH war, der klarstellte, dass diejenigen, die aus Ausländerhass jemanden umbringen, demnach also aus niedrigen Beweggründen, nicht nur wegen Totschlags, sondern wegen Mordes zu bestrafen sind. Und dass bei Hakenkreuz-Schmierereien und Volksverhetzung Haftstrafen ohne Bewährung verhängt werden können.

Dabei war es der Bundesgerichtshof, der noch im Frühjahr 1993 das milde Urteil gegen die drei Hünxer Attentäter bestätigte und die Revision der beiden schwer verletzten libanesischen Mädchen mit der Begründung verwarf, den Tätern hätte kein Tötungsvorsatz nachgewiesen werden können. Und das, obwohl zumindest einer der drei Molotowcocktails nachweislich gezielt in das Schlafzimmer der Flüchtlingsfamilie geschleudert worden war.

Seitdem ist die Justiz bei der Strafverfolgung rechtsextremistischer Täter endlich auf Trab gekommen. Als im Dezember 1993 die beiden Attentäter von Mölln wegen dreifachen Mordes und siebenfachen Mordversuches zu den höchstmöglichen Haftstrafen verurteilt wurden, markierte dieses Urteil eine Zeit der Umbesinnung. Ein Urteil wie das von Hünxe wäre von da an nicht mehr möglich gewesen.

Die tatsächliche Zäsur brachte in diesem Jahr der 27. Juli, als ein Bombenattentat auf teils jüdische Aussiedler an einer Düsseldorfer S-Bahn-Haltestelle eine Phase der Einsicht und Selbstkritik in Gang setzte. Seitdem wurde wochenlang das journalistische Sommerloch mit einer waren Debattenflut und Berichterstattungswelle über den Umgang mit rechtsextremistisch motivierter Gewalt gefüllt. Was auch den Strafverfolgern ordentlich Beine machte.

Plötzlich trauten sich Ankläger auch öffentlich nach einem Brandanschlag auf ein Asylbewerberheim als Tatmotiv "Fremdenhass" anzugeben. Was bislang eher verpönt war und dazu führte, dass manchmal sogar heute noch ausländerfeindlich oder neonazistisch motivierte Taten schamvoll verschwiegen oder ihr fremdenfeindlicher Hintergrund heruntergespielt werden. Wobei Ermittler sich sogar bei nicht zu übersehenden Indizien, die in die rechte Ecke weisen, immer wieder dazu versteigen, öffentlich kundzutun, es könne "nicht grundsätzlich von einem fremdenfeindlichen Hintergrund ausgegangen werden".

Eine Haltung, die kürzlich der Karikaturist Til Mette im Stern auf den Punkt brachte: Er zeichnete eine mit Hakenkreuzen voll geschmierte Synagogentür vor der ein Polizeisprecher vor laufender Fernsehkamera verkündet: "Die Polizei schließt antisemitische Motive bei diesem Anschlag nicht völlig aus".

Doch auch die Politik wurde seit diesem so rege durchdebattierten Sommerloch auf einen Schlag regelrecht erfindungsreich: So wurde einem 16-jährigen Leipziger Gewalttäter aus der rechten Szene ab August für die kommenden zwei Jahre verboten, in der Öffentlichkeit Springerstiefel mit Stahlkappeneinsätzen zu tragen oder Messer, Baseballschläger und Eisenketten bei sich zu führen. Gestützt wurde diese fantasievolle Maßnahme auf das sächsische Polizeigesetz. Während dem nordrhein-westfälischen Innenministerium einfiel, dass man bei den 575 im Lande aufgefallenen Neonazis doch einmal einen Hausbesuch abstatten könne. Nach dem Motto: "Passt auf, wir haben euch im Auge!"

Die Bundesanwaltschaft war schon vor der so unerwartet aufflammenden Debatte über den Umgang mit rechter Gewalt aktiv geworden und hatte mehrere Verfahren an sich gezogen: Zunächst nachdem fünf junge Neonazis im August 1999 in Eggesin zwei Vietnamesen zum Teil lebensgefährlich verletzten. Dann nach dem Brandanschlag auf die Erfurter Synagoge vom 20. April diesen Jahres. Und später nachdem drei Skinheads im Juni in Dessau den Mosambikaner Alberto Adriano ermordet hatten.

In all diesen Fällen ging es zügig voran mit Anklage, Prozess und Verurteilung. Vor allem aber wurden die Taten nicht mehr heruntergespielt. Die Synagogen-Attentäter wurden drei Monate nach ihrem Anschlag vom Thüringer Oberlandesgericht wegen versuchter schwerer Brandstiftung und verbotswidrigen Herstellens von Brandsätzen, der eine zu einer Jugendstrafe von drei Jahren, der andere zu zwei Jahren und drei Monaten verurteilt. Nicht einmal zweieinhalb Monate nach der Ermordung von Alberto Adriano fand der Prozess gegen die drei Täter statt, die allesamt vom Oberlandesgericht Halle zu drastischen Strafen verurteilt wurden: einer zu lebenslanger Haft, die beiden anderen zu jeweils neun Jahren.

Doch auch in den Fällen, in denen sich die Bundesanwaltschaft nicht einschaltete, scheinen Ermittler und Richter endlich verstanden zu haben, dass sie ihren Teil mit dazu beitragen müssen, einer ausufernden Welle rechtsextremer Gewalt Einhalt zu gebieten. So sprach die Wuppertaler Justiz schon anderthalb Monate, nachdem Skinheads die Teilnehmer einer Gedenkfeier an einem KZ-Mahnmal überfallen hatten, ihr Urteil: Sieben Monate Haft ohne Bewährung für drei Neonazis. Der Amtsrichter hatte dies mit dem Satz begründet: "Lieber eine kurze und fühlbare Strafe als eine lange mit Bewährungswischiwaschi".

Nachdem acht Deutsche mit Baseballschlägern bewaffnet im September diesen Jahres in Bergheim bei Köln einen Nordafrikaner durch den Ort hetzten und durch Tritte schwer verletzten, übernahm zum Beispiel gleich die Abteilung Staatsschutz der Kriminalpolizei die Ermittlungen - und gab der ganzen Angelegenheit die ihr zustehende Bedeutung.

Ebenfalls in Wuppertal wurden jetzt vier Rechtsradikale schon zwei Wochen nach einem Brandanschlag auf ein Ausländerwohnheim wegen 36-fachen Mordversuchs angeklagt. Zwei Kinder waren dabei verletzt worden. So wie seinerzeit in Hünxe im Jahre 1991. Doch wie anders ging das Duisburger Landgericht damals mit dieser Tat um: Zu einer Zeit, als Richter die Töne aus dem braunen Sumpf überhaupt noch nicht ernst nahmen.

Seitdem ist die Zahl der jungen Leute aus dem gewaltbereiten rechten Spektrum bedrohlich gewachsen, haben gewalttätige Übergriffe auf Juden und Minderheiten nach Ansicht von Paul Spiegel, dem Vorsitzenden des Zentralrats der Juden in Deutschland, inzwischen "fast terroristische Züge" angenommen.

Höchste Zeit also, hiergegen etwas zu tun. Die Justiz, darüber dürfte Einmütigkeit bestehen, ist nur ein Strang in der Kette derjenigen, die sich mit den Hintergründen und den Folgen derartiger Gewaltexzesse zu befassen haben. Sie ist aber ein wesentlicher Faktor dann, wenn das Kind erst einmal in den Brunnen gefallen ist. Und auf ihre Reaktion wird besonders geachtet, weil sie es ist, die "zeitgemäß" Sanktionen auszusprechen hat. Fallen diese gelinde und nachsichtig aus, dann entsteht leicht der Eindruck: was soll's, so schlimm kann es schon nicht gewesen sein.

Dabei mahnen Juristen immer wieder, bei der Jagd auf rechte Gewalttäter nicht gleich sämtliche rechtsstaatlichen Errungenschaften über Bord zu werfen. Die Errichtung von Schnellgerichten, eine Verschärfung des Jugendstrafrechts, Videoüberwachung auf öffentlichen Plätzen, Einschränkung des Demonstrationsrechts, Sicherungshaft für Wiederholungstäter - all dies ist gänzlich unnötig. Vielmehr reicht das herkömmliche Strafrecht aus, um Rechte zu richten. Es muss nur konsequent angewandt werden, wie Ermittlungen und Strafverfahren aus jüngster Zeit zeigen.

Und es darf nicht länger der Fehler gemacht werden, den Richter bis heute liebend gerne begehen. Dass nämlich die Täter vor Gericht gänzlich unabhängig von ihrem rechtsextremistischen Umfeld gesehen werden. Zu viele Richter sparen sich noch immer die Suche nach dem geistigen Hintergrund, mit dessen Unterstützung und durch dessen Beeinflussung diese Jugendlichen handeln.

Wie jüngst erst in einem Prozess gegen drei Skinheads (zwei Männer und eine Frau), die in Düsseldorf einen jungen Mann allein deswegen grausam gequält hatten, weil der mit einem Schwarzen befreundet war. Auch da haben die Richter den politischen Hintergrund der Tat gerade mal im Galopp gestreift, in ihrer mündlichen Urteilsbegründung gar nicht weiter erwähnt. Man erfuhr so gar nichts über das Milieu der Angeklagten, deren Vernetzung und Verstrickung in die rechte Szenerie, obwohl sie ihre geistige Anhängerschaft deutlich durch Hakenkreuze und Reichskriegsflagge an den Wänden sowie Bomberjacken, Glatzen und Springerstiefeln demonstriert hatten.

Auch in dem 1997 vor einer Essener Strafkammer geführten Prozess gegen den dreifachen Gladbecker Mörder Thomas Lemke waren die Richter bemüht, den Angeklagten aus seiner Eingebundenheit in die neonazistische Szene regelrecht herauszuschälen. So ließ das Gericht Bemerkungen Lemkes, die offenkundig auf rechtsradikale Aktivitäten oder Kameradschaften hinwiesen, einfach unhinterfragt im Raume stehen - und das, obwohl Lemke selbst aus seiner rechtsextremistischen Gesinnung keinen Hehl machte. Von offizieller Seite war erwartungsgemäß bald schon in altbekannter Weise zu hören, bei ihm handele es sich um einen unpolitischen Einzeltäter.

Eine Einschätzung, gerade gut genug, die Sache auf kleiner Flamme zu halten. Aber nicht geeignet, den tatsächlichen Hintergrund aufzudecken. Ebenso wenig, wie die Praxis bei Staatsanwälten, vorschnell mit dem Hinweis auf einen "unpolitischen Einzeltäter" die eigentlich notwendige Recherche im rechtsradikalen Milieu abzuwehren. Diese Ermittler mussten sich allerdings häufig - zumindest in den Prozessen, in denen das politische Umfeld hinterfragt wurde - korrigieren lassen.

So im Falle des neonazistischen Polizistenmörders Kay Diesner, der zunächst als ein ebensolcher Einzeltäter der Öffentlichkeit vorgestellt wurde. Während der im Dezember 1997 mit seiner Verurteilung zu lebenslanger Haft abgeschlossene Prozess zeigte, dass Diesner seit 1988 der rechtsextremen Szene angehörte und unter anderem seit 1992 Mitglied der "Nationalen Alternative" war. Seine Taten somit sehr wohl vor diesem Hintergrund zu sehen und zu interpretieren waren.

Richter und Staatsanwälte begründen ein derartiges Vorgehen häufig damit, dass nicht die politische Gesinnung angeklagt sei. Damit verstoßen sie allerdings gegen ihren gesetzlichen Auftrag, wonach sie "zur Erforschung der Wahrheit die Beweisaufnahme von Amts wegen auf alle Tatsachen und Beweismittel zu erstrecken haben, die für die Entscheidung von Bedeutung sind". Außerdem müssen die Beweggründe des Täters, sein Vorleben aber auch die so häufig vernachlässigte Gesinnung, die aus der Tat spricht, vom Gericht bei der Urteilsfindung abgewogen werden.

Heftig diskutiert wird in diesen Tagen das vom Landgericht Cottbus nach 81 Verhandlungstagen verhängte Urteil gegen elf Skinheads. Die Angeklagten hatten am 13. Februar 1999 den 28 Jahre alten algerischen Asylbewerber Farid Guendouls gemeinsam mit zwei weiteren Afrikanern durch Guben gehetzt. In Todesangst hatte Guendouls die Glastür eines Plattenbaus eingetreten und sich dabei so schwer verletzt, dass er noch im Treppenaufgang verblutete.

Das Cottbuser Landgericht hat hierzu ein höchst umstrittenes Urteil gesprochen. Anstatt angesichts der vom Gericht festgestellten Mitverantwortung aller Angeklagten am Tode Guendouls der Tat entsprechende Strafen zu verhängen, wurden nur drei der Skinheads zu Jugendstrafen bis zu drei Jahren verurteilt, zwei davon unter Einbeziehung ihrer beachtlichen Vorstrafen. Alle anderen bekamen entweder Bewährungs- oder lediglich Arreststrafen.

Selbst der Angeklagte, der seinen unverbesserlichen Ausländerhass noch im Verlauf des Prozesses dadurch demonstrierte, dass er die Blumen am Gedenkstein für Farid Guendoul zertrat, stieß auf Verständnis des Gerichts und konnte als freier Mann den Gerichtssaal verlassen.

Der Vorsitzende Richter hatte - dies war aus seiner mündlichen Urteilsbegründung herauszuspüren - ausgesprochen viel Mitgefühl mit den Tätern. So, wie einst der Duisburger Richter im Prozess wegen des Hünxer Brandanschlags. Dazwischen liegen allerdings mehr als acht Jahre, eine rasante Entwicklung der rechtsextremistischen Gewaltszenerie und die Notwendigkeit, durch klare Grenzziehung der ausufernden Menschenfeindlichkeit Einhalt zu gebieten. Bewährungsstrafen bei körperlichen Angriffen aus rassistischen Gründen sind dazu jedenfalls nicht geeignet.

Doch inzwischen gibt es durchaus bemerkenswert beispielhafte Urteile, gibt es Richter, die wissen wollen, wer eigentlich die geistigen Hintermänner sind, aus welchem gesellschaftlichen Mief heraus die rechten Gewalttäter eigentlich kommen. Das im April in Stralsund tagenden Rostocker Oberlandesgerichts hat dieses Umfeld bei fünf jungen Rechtsextremisten hinterfragt, die im August 1999 in Eggesin zwei Vietnamesen zum Teil lebensgefährlich verletzten. Erst danach hat es sie zu mehrjähriger Haft verurteilt. Diese Richter taten etwas, das zuvor ausgesprochen selten in Gerichtssälen stattgefunden hat.

Sie betrachteten das Umfeld der Täter, den gesellschaftlichen Hintergrund der Tat und machten Behörden der vorpommerschen Stadt ebenso wie Lehrern oder Eltern den Vorwurf, zu lange tatenlos dem Treffen von "Skinhead-Kameradschaften" mit ihrem dumpfen Ausländerhass zugeschaut zu haben. Ein Urteil, das "zeitgemäß" für den neuen, den anderen Umgang der Justiz mit rechtsextremistischer Gewalt steht.