Financial Times Deutschland, 17.11.2000

Araber drängen EU zu neuer Rolle in Nahost

Von Cornelia Knust, Marseille

Die arabische Welt drängt die Europäische Union (EU), sich stärker für den Friedensprozess im Nahen Osten zu engagieren und zudem möglichst Partei für die Seite der Palästinenser zu ergreifen. Das wurde auf der Mittelmeerkonferenz der EU in Marseille deutlich.

Der deutsche Außenminister Joschka Fischer sagte, vor allem der ägyptische Außenminister Amre Moussa habe die EU aufgefordert, eine "effektivere Rolle" zu spielen. Fischer betonte jedoch: "Europa engagiert sich für die legitimen Rechte beider Seiten". Italiens Außenminister Lamberto Dini sagte dagegen, es sei "nicht besonders hilfreich", dass Israel die Palästina zustehenden Finanzmittel eingefroren habe.

Die Mittelmeerkonferenz ist die vierte des so genannten "Barcelona-Prozesses". Diesen Prozess hat die EU 1995 gestartet, um die zwölf Anrainerstaaten des Mittelmeers enger an die EU zu binden und bis 2010 auf eine Freihandelszone hinzuarbeiten. Augenblicklich wickeln die Länder nur sechs Prozent ihres Außenhandels untereinander ab.

Frankreich, das derzeit die Präsidentschaft der EU innehat, wollte ursprünglich einen großen Mittelmeergipfel veranstalten, um die eigenen Interessen in diesem Raum zu betonen und der EU-Osterweiterung etwas entgegenzusetzen. Wegen der Krise im Nahen Osten fand das Treffen jedoch nur auf Ministerebene statt. Syrien und der Libanon blieben ihm aus Protest gegen Israel fern.

Fischer berichtete über eine "beeindruckende Aussprache" zwischen den Außenministern Israels und Palästinas im Rahmen eines Abendessens der Konferenzteilnehmer: "Ich kann mich nicht an eine vergleichbar offene Diskussion erinnern." Der deutsche Außenminister lobte demonstrativ die französische EU-Präsidentschaft: "Das ist eine sehr, sehr wichtige Konferenz, deren Bedeutung darin liegt, dass sie überhaupt stattgefunden hat."

In Kommissionskreisen wird die französische Präsidentschaft beim Thema Nahost-Konflikt allerdings eher als Belastung empfunden, da Frankreich nicht als wirklich unparteiisch gilt.

Unter der kommenden schwedischen EU-Präsidentschaft dürfte es für den außenpolitischen Beauftragten der EU, Javier Solana, leichter werden, sich in der Region zu engagieren. Schon dadurch, dass Solana beim Nahost-Friedensprozess mit am Tisch sitze, zwinge er die europäischen Außenminister, einheitliche Positionen einzunehmen, hieß es in Kommissionskreisen.

Der israelische Außenminister Schlomo Ben-Ami ermutigte die EU, eine eigene Friedenstruppe aufzubauen. Israel sei nicht gegen eine Friedenstruppe, allerdings erst nach Unterzeichnung eines Friedensabkommens mit den Palästinensern. Er lobte die Bemühungen der EU, "die Partner zu einem zivilisierten Dialog zu bewegen".

Kurz vor der Konferenz in Marseille hatte sich die EU über die Ausstattung des Hilfsprogramms Meda-II geeinigt: 5,35 Mrd. Euro will die EU für die Mittelmeerstaaten bis zum Jahre 2006 bereitstellen. Ursprünglich waren 6,7 Mrd. Euro geplant. Angesichts der veränderten Lage auf dem Balkan setzten die nordeuropäischen Staaten aber eine Umschichtung der Mittel aus dem Meda-Programm zu Gunsten des Balkans durch; zumal die Mittel aus dem vorangegangenen Meda-I-Programm (3,4 Mrd. Euro) nur zu einem Viertel abgerufen worden waren.

Nach Angaben von Chris Patten, Kommissar für die EU-Außenbeziehungen, sind Beschlüsse für einen effizienteren Mitteleinsatz gefasst worden. Außerdem soll ein engerer Zusammenhang hergestellt werden zwischen der Unterzeichnung von Assoziierungsabkommen mit der EU und dem Empfang der Meda-Mittel.

Bisher haben nur Marokko, Tunesien, Israel und Palästina ein solches Abkommen unterzeichnet und ratifiziert. Ein Patten-Sprecher sagte, mit Ägypten stehe die Unterzeichnung unmittelbar bevor. Die Europäische Investitionsbank teilte mit, sie wolle das Budget der zinsbegünstigten Kredite für die Mittelmeerregion auf 7,4 Mrd. Euro aufstocken.