Süddeutsche Zeitung, 18.11.2000

Trotz der Appelle wieder Tote im Nahen Osten

Arafat ordnet Waffenruhe an Palästinenserchef ruft erstmals zur Mäßigung auf / Israel will UN-Beobachter zulassen / Von Thorsten Schmitz

Jerusalem - Palästinenserpräsident Jassir Arafat hat am Freitag erstmals seit Beginn der blutigen Unruhen vor sieben Wochen öffentlich seine Gefolgsleute zur Waffenruhe aufgefordert. "Wir bemühen uns mit allen Mitteln, unsere bewaffneten Männer daran zu hindern, das Feuer aus Gebieten der Zone A auf israelische Soldaten zu eröffnen." Zur Zone A gehören Gebiete, die unter voller Kontrolle der palästinensischen Autonomiebehörde stehen. Arafat fügte hinzu, bei dem Schießverbot handele es sich um eine "klare Order" des palästinensischen "Sicherheitsrates". Israels Premier Ehud Barak reagierte zunächst zurückhaltend: "Wir wollen Taten sehen und nicht nur Worte hören." Gleichwohl hoffe er, dass die Gewalt in den Palästinensergebieten nach Arafats deutlichem Schießverbot abebben werde.

Trotz des bereits in der Nacht zum Mittwoch erlassenen Schießverbots für die bewaffneten palästinensischen Milzen ist es auch am Freitag wieder in weiten Teilen des Gazastreifens und des Westjordanlandes zu gewalttätigen Zusammenstößen gekommen, mindestens fünf Menschen wurden getötet. In der Autonomiestadt Jericho wurden zwei palästinenische Polizisten getötet, nachdem sie auf israelische Soldaten geschossen haben sollen. Am Freitag starben zwei junge Palästinenser und ein 38-jähriger Jordanier in Städten des Westjordanlandes sowie ein Palästinenser am Grenzübergang Karni im Gazastreifen. Mindestens zehn Menschen wurden bei Kämpfen verletzt, vier von ihnen schwer.

Die israelische Tageszeitung Maariv berichtete, Israel und die Palästinenser hätten sich in den vergangenen Tagen bei geheimen Treffen darauf geeinigt, Beobachter der Vereinten Nationen (UN) in die Palästinensergebiete zu entsenden. Dem Bericht zufolge soll ein 2 000 Mann starker, unbewaffneter UN-Trupp sechs Monate lang die Vorgänge in den Palästinensergebieten beobachten und den Vereinten Nationen Bericht erstatten. Das Angebot solle es Arafat leichter machen, an den Verhandlungstisch zurückzukehren. Die Washington Post meldete, Israels UN-Botschafter und der palästinensische UN-Beobachter hätten sich in den letzten Tagen mehrfach in der ägyptischen Botschaft getroffen, um über die Entsendung von UN-Schutztruppen zu beraten. Israel hatte bislang UN-Truppen strikt abgelehnt. Ein Sprecher Baraks erklärte am Freitag, Israel habe die Entsendung im Rahmen eines Friedensabkommens nie ganz ausgeschlossen. Die 15 Mitgliedstaaten der Europäischen Union (EU) forderten zum Abschluss ihrer Konferenz in Marseille die "Bildung eines souveränen, demokratischen palästinensischen Staates in naher Zukunft". Die EU würde die Palästinenser dabei unterstützen. Bislang hatte die EU stets von der Bildung eines palästinensischen Staates "zu gegebener Zeit" gesprochen.