junge Welt, 17.11.2000

Unmenschliche "Nützlichkeit"

Anmerkungen zur Diskussion in der PDS über Asyl- und Migrationspolitik. Von Ulla Jelpke

Die stellvertretende Parteivorsitzende der PDS, Petra Pau, ist im Schnellverfahren - ohne mit den Fachleuten und Gremien in Partei und Fraktion zu diskutieren - mit einem 6-Punkte- Papier zur Zuwanderungspolitik an die Öffentlichkeit geprescht. Jetzt wird unter Berufung auf sie und andere behauptet, die PDS trete nicht mehr für »offene Grenzen« ein. Andere sprechen sogar davon, daß sich die PDS künftig an Abschiebungen beteiligt und fordern Arbeitsplätze vorrangig für Deutsche. Ich finde es unglaublich, mit welcher Bedenkenlosigkeit Leute in der PDS anfangen, Abschiebungen zuzustimmen und einer Zweiklassengesellschaft - hier Deutsche, dort Ausländer - das Wort zu reden. Kommt jetzt der Kotau, die Unterwerfung unter den rassistischen Mainstream? Geben wir jetzt unser Eintreten für gleiche Rechte auf, sind wir nicht mehr für »Grenzen auf für Menschen in Not«?

Es gibt seit einigen Jahren eine Debatte in der PDS über Einwanderungspolitik. Dabei haben wir bisher immer mit gutem Grund ein Einwanderungsgesetz abgelehnt, weil das immer nur ein Einwanderungsbegrenzungsgesetz sein kann. Weil dabei immer auch die repressive Seite mitgedacht werden muß, war es bisher Konsens in der PDS, sich an solchen Debatten nicht zu beteiligen. Das bleibt meine Position.

Wir diskutieren über Einwanderungspolitik unter den Bedingungen einer kapitalistischen Gesellschaft. Diese Bedingungen bestimmt das Kapital. Die gesamte Diskussion in allen Parteien - von CDU/CSU bis zu den Grünen - dreht sich jetzt um die Nützlichkeit von Arbeitsmigration. Diese ganze Diskussion würde es nicht geben, wenn die Wirtschaft nicht angefangen hätte, nach billigen Arbeitskräften aus dem Ausland zu rufen.

Mit der These von Petra Pau, daß die Leute kommen dürfen, dann ein halbes Jahr Zeit haben, Arbeit zu suchen oder eine Firma aufzubauen, und wenn sie es nicht geschafft haben, wieder gehen müssen, wird genau diese Nützlichkeitsdebatte in der PDS übernommen, ob Petra das nun will oder nicht. Eine humane Einwanderungspolitik unter den gegebenen gesellschaftlichen Bedingungen ist aber unmöglich, solange zum Beispiel nicht auch Fluchtursachen bekämpft werden, für die die Industriestaaten maßgeblich verantwortlich sind. Vor allem aber ist eine humane Einwanderungspolitik nicht möglich, solange es uns nicht gelingt, diese Gesellschaft grundsätzlich zu ändern und solidarisch zu gestalten.

Tatsache ist, daß Deutschland im Gegensatz zu dem schönen Schein vom angeblich weltoffenen Land eines der am schärfsten abgeschotteten Industrieländer ist. Mit dieser Abschottungspolitik wird seit Jahren schon Einwanderung nach kapitalistischen Maßstäben reguliert. Flüchtlinge kommen fast nur noch herein, wenn sie vom Himmel fallen. An den Ostgrenzen sterben Menschen beim Versuch einzuwandern. Chipkarten für Flüchtlinge, Abschiebehaft, Arbeitsverbot, Abschiebung traumatisierter Menschen, von kurdischen Flüchtlingen in die Türkei, keine Anerkennung nichtstaatlicher Verfolgung und frauenspezifischer Fluchtgründe, Flughafenasyl, Verbot des Doppelpasses, Blutsrecht - das sind Dinge, die in dieser rassistischen Gemeinheit in keinem anderen Industriestaat vorkommen.

Die PDS hat darüber diskutiert, Niederlassungs- und Einwanderungsrechte zu formulieren. Uns geht es dabei um die Verbesserung der Rechte von Menschen, nicht um ihre Nützlichkeit fürs Kapital.

Die Vorschläge, die Petra Pau jetzt an die Öffentlichkeit gebracht hat, sind unausgegoren, nicht zu Ende gedacht und für mich nicht akzeptabel. Wieso sollte die PDS sich der Logik anderer Parteien anpassen, daß Menschen, die »unseren« Bedingungen nicht genügen, wieder abgeschoben werden? Die Formel: »Wer es nicht schafft, fliegt raus« ist für mich ein typisch deutscher, rassistischer Reflex.

Wer über Einwanderung redet, darf nicht allein über Arbeitsmigration sprechen, sondern muß auch über humanitäre Migration und Armutsflüchtlinge reden.

Ich finde die Idee des sächsischen PDS- Landesvorsitzenden Peter Porsch gut, die PDS solle das Recht auf Freizügigkeit auf ihre Fahne schreiben. Wer für Freihandel, für Reisefreiheit, für Urlaub und das Recht auf Ausreise in alle Welt eintritt, der darf nicht auf der anderen Seite die Einreise und Einwanderung weiter begrenzen.

Diese Debatte über Migration aus Not und über Armutsflüchtlinge wird bisher kaum geführt. Solange wir darüber und über Fluchtursachen gar nicht reden, kann die PDS nicht in Anspruch nehmen, eine linke Einwanderungspolitik zu formulieren.

Fangen wir doch lieber damit an, uns energischer für die Verbesserung der Rechte der Flüchtlinge und MigrantInnen zu bemühen, die bereits hier bei uns sind.

Das Asylrecht muß dringend ausgeweitet werden. Frauenspezifische Verfolgung und Verfolgung durch Private müssen als Asylgrund anerkannt werden. Die »Festung Europa« muß weiter bekämpft werden. Die von Konservativen und Leuten wie Innenminister Schily immer wieder angeführte niedrige Anerkennungsquote bei Flüchtlingen ist kein Beweis für den Mißbrauch des Asylrechts, sondern ein Beleg, daß die deutsche Asylpraxis inhuman ist.

Wir müssen dafür eintreten, daß Bürgerkriegsflüchtlinge Niederlassungs- und Einwanderungsrechte bekommen. Es kann nicht sein, daß traumatisierte Menschen und andere Flüchtlinge, die seit zehn Jahren hier leben, noch immer abgeschoben werden, obwohl sie Arbeit haben, ihre Kinder hier geboren und aufgewachsen sind.

Bei uns leben etwa eine Million sogenannter »Illegalisierter«. Viele dieser Menschen wagen nicht, ihre Kinder in die Schule zu schicken oder ins Krankenhaus zu gehen, weil diese Institutionen verpflichtet sind, sie dann zu melden. Sie fürchten zu Recht, dann abgeschoben zu werden. Von Kirchen und Wohlfahrtsverbänden gibt es vernünftige Forderungen, um die Situation dieser Menschen zu verbessern und sie zu legalisieren. Das sollten wir aufgreifen.

Generell ist die PDS gut beraten, sich mit den gesellschaftlichen Organisationen, die noch an der Seite der Flüchtlinge und MigrantInnen stehen, mehr zu beraten und enger zusammenzuarbeiten. Daß ein Zehntel der Bevölkerung immer noch als Menschen zweiter Klasse diskriminiert wird, daß jeder neu angeworbene Arbeitsmigrant weiter als »Gastarbeiter« eingestuft wird, können wir nur gemeinsam mit diesen Organisationen und mit den MigrantInnen und Flüchtlingen korrigieren. Ich teile die Kritik von Pro Asyl, DGB, Flüchtlingen und MigrantInnen, daß die Diskriminierung von acht Millionen Menschen ein Grundfehler ist, der so schnell wie möglich korrigiert werden muß. Dazu gehört das Eintreten für Niederlassungsrechte und für weitere Reformen im Staatsbürgerschaftsrecht. Das neue Staatsbürgerschaftsgesetz ist ein Flop. Die PDS muß mit Flüchtlingen und MigrantInnen, mit Kirchen und Gewerkschaften weiter kämpfen für ein Staatsbürgerschaftsrecht mit Doppelpaß und ohne Blutsrecht.

Die Umfragen über Fremdenfeindlichkeit zeigen immer wieder, wieviel Überzeugungsarbeit wir gegen solche fremdenfeindlichen Strömungen noch leisten müssen. Auch vor diesem Hintergrund ist eine Debatte über Einwanderungsbegrenzungen und Abschiebung ein völlig falscher Ansatz.

Ulla Jelpke

(innenpolitische Sprecherin der PDS-Bundestagsfraktion)