Süddeutsche Zeitung, 17.11.2000

Schon die jetzige Praxis genügt dem Völkerrecht nicht

Noch weniger Asyl

Die CSU will aus dem Grundrecht eine bloße "institutionelle Garantie" machen /
Von Heribert Prantl

Ein Parteitag ist kein völkerrechtliches Seminar. Darum wird auf dem CSU-Parteitag nicht die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) ausliegen, auch nicht die Genfer Flüchtlingskonvention (GFK) und schon gar nicht die spektakuläre Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte Nr. 43844/98 vom 7. März 2000, die vom deutschen Asylrecht nicht weniger, sondern deutlich mehr verlangt.

Stattdessen werden die Delegierten auf dem CSU-Parteitag, der am heutigen Freitag in München beginnt, hören und in den Anträgen lesen können, dass das deutsche Asylrecht noch immer viel zu großzügig sei und seinesgleichen nicht habe auf der Welt - und dass man deshalb auf das Asylgrundrecht endgültig verzichten und man es ersetzen müsse durch eine "institutionelle Garantie".

Das Asylgrundrecht wurde schon einmal grundlegend geändert: Am 26. Mai 1993 wurde der bisherige Artikel 16 Absatz 2 des Grundgesetzes gestrichen; an die Stelle des schlichten Satzes "Politisch Verfolgte genießen Asylrecht" trat ein fünf Absätze langer, komplizierter neuer Artikel 16 a, der das Asylgrundrecht auf seinen, wie es damals hieß, unverzichtbaren Kern zurückführen sollte.

1973, als im Schatten der Ölkrise das Wirtschaftswunder zu verblühen begann, hatte Franz Josef Strauß zum ersten Mal von "Asylmissbrauch" geredet. Damals kamen andere Flüchtlinge, als man es bis dahin gewohnt war, nach Deutschland - nicht nur die Asylbewerber aus dem Ostblock, die, weil sie aus dem Kommunismus flohen, automatisch als asylberechtigt galten; es kamen vielmehr Flüchtlinge aus dem Nahen Osten, Palästinenser - die umso misstrauischer beäugt wurden, als das Attentat palästinensischer Terroristen bei den Olympischen Spielen in München erst ein Jahr zurücklag. Dieses Misstrauen mündete schon damals in Forderungen der CSU, aus dem Asylgrundrecht "eine Art Gnadenrecht" zu machen.

"Totale Überforderung

In einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung vom 24. August 1991 begründete der damalige bayerische Innenminister Edmund Stoiber dieses Vorhaben damit, dass ansonsten "rechtsradikale Organisationen erheblichen Aufwind bekommen". Aus dem Artikel 16 Grundgesetz müsse ein "abstraktes Grundrecht werden, auf das sich ein Flüchtling "nicht mehr ohne Rücksicht auf andere Interessen berufen" könne; die deutsche Bevölkerung müsse vor einer "totalen Überforderung" durch Flüchtlinge geschützt werden. Was damals "abstraktes" Grundrecht hieß, heißt heute "institutionelle Garantie". Zwar sind die Asylbewerberzahlen seit der Änderung des Asylgrundrechts von 1993 sehr zurückgegangen (auf ein Viertel der damaligen Zahlen), aber die CSU-Begründung für ihre Forderungen ist gleich geblieben.

Schon der derzeitige Gehalt des deutschen Asylrechts entspricht den völkerrechtlichen Vorgaben nur mit knapper Not: Die obersten Richter für Menschenrechte haben deutlich gesagt, dass das seit 1993 in Deutschland geltende Prinzip der normativen Vergewisserung den Ansprüchen der Menschenrechtskonvention nicht genügt. Normative Vergewisserung bedeutet: Wenn ein Flüchtling in ein drittes Land abgeschoben wird, begnügen sich die Behörden damit, sich durch einen Blick in die Gesetze dieses Staats zu vergewissern, ob diese den Standards entsprechen. Wenn also dieser Staat der Menschenrechts- und der Flüchtlingskonvention beigetreten ist, geht man davon aus, dass der Flüchtling dort schon sicher sein wird. Man prüft nicht, ob die Gefahr besteht, dass der Flüchtling von diesem Land in den Staat zurückgeschafft wird, aus dem er vor Folter und Tod geflohen ist. Der Menschenrechtsgerichtshof hat wegen der Gefahr der Kettenabschiebung Einzelfallprüfung verlangt, und die Bundesregierung hat dies dem Gericht auch versprochen: Eigentlich müsste also jetzt das Ausländer- und Asylrecht gestärkt, nicht geschwächt werden, müsste der Asylschutz ausdrücklich auch auf die Opfer nichtstaatlicher Gewalt erstreckt werden.

Aus Artikel 3 Menschenrechtskonvention und aus Artikel 33 Genfer Flüchtlingskonvention ergibt sich ein stabiler Flüchtlingsschutz, von dem sich Deutschland nicht absentieren kann - selbst die Kündigung der Genfer Flüchtlingskonvention würde daran nichts ändern, weil der dortige Grundsatz des (französischen Begriffs) "Non-Refoulement" mittlerweile Völkergewohnheitsrecht geworden ist: Ein Staat darf einem vor Verfolgung Schutz suchenden Flüchtling nicht in einen anderen Staat zurückführen, in dem sein Leben oder seine Freiheit bedroht sein würde (und sei es durch Kettenabschiebung).

Ein Memorandum von amnesty international und weiteren neun Nichtregierungsorganisationen hat kürzlich festgestellt, dass das Asylrecht in Deutschland nichts anderes ist als "die innerstaatliche Antwort auf internationale Verpflichtungen". Selbst wenn auch noch der Rest des Asylgrundrechts im Grundgesetz gestrichen würde - an den deutschen Verpflichtungen zum Flüchtlingsschutz würde sich nichts ändern.

Das Ende des Rechtswegs

Das klingt, als sei der Streit um das Asylrecht ein Streit um des Kaisers Bart - weil das Asylgrundrecht und seine Ausführungsgesetze ohnehin nur formulieren, was international vorgeschrieben ist. Es kommt aber ein entscheidender Punkt hinzu: Mit dem Grundrecht auf Asyl wird der Rechtsweg garantiert, und das Verfassungsgericht bleibt als oberste Instanz aufgerufen, darüber zu wachen. Die von der CSU geplante Ablösung des Grundrechts durch eine institutionelle Garantie zielt darauf, das Rechtsschutzprinzip, den Artikel 19 Absatz 4 Grundgesetz, für Flüchtlinge außer Kraft zu setzen. Das internationale Recht schreibt es nämlich den Staaten nicht vor, in welchem Verfahren sie den Flüchtlingsschutz verwirklichen. Der CSU (und, wie man aus Interviews herauslesen kann, auch dem SPD-Bundesinnenminister Schily) schwebt deshalb vor, die Asylprüfung nicht mehr den Gerichten zu überantworten sondern einem Gremium, das in erster und letzter Instanz entscheiden soll. Ob das dann das "faire Verfahren" wäre, das in den internationalen Konventionen verlangt wird, ist zweifelhaft.

Die CSU hat nämlich ihre eigene Sicht der internationalen Verpflichtungen: Es gäbe kein Recht auf Asyl, behauptet sie, es gäbe nur ein "Recht im Asyl". Nur den Flüchtlingen, denen man Aufnahme gewähre, müsse man also die Rechte der Flüchtlingskonvention gewähren. Mit einer institutionellen Asyl-Garantie à la CSU verhält es sich also vergleichsweise so: Man gibt einem hungernden Menschen kein Stück Brot, sondern ein Zertifikat in die Hand, auf dem versichert wird, dass in Deutschland nach wie vor Brot gebacken wird.