taz, 17.11.2000

Straßburg ärgert Ankara

Europäisches Parlament nimmt mit knapper Mehrheit Resolution zum Völkermord an Armeniern 1915 an. Türkei lehnt eine Verbindung mit EU-Aufnahme ab

ANKARA taz Auf scharfen Protest in der Türkei ist gestern eine Resolution des Europäischen Parlaments (EP) gestoßen, in der die türkische Regierung aufgefordert wird, den Völkermord an den Armeniern 1915 anzuerkennen. In einer Erklärung des türkischen Außenministeriums heißt es, die Aufnahme von Beitrittsgesprächen mit der Armenienfrage, der Zypernfrage oder der Kurdistanfrage zu verknüpfen, sei völlig unakzeptabel.

Der Passus zur Armenienfrage wurde von einer knappen Mehrheit im EU-Parlament (234 zu 213 bei 93 Enthaltungen) in einen Bericht des Parlaments zum Stand der Beziehungen zur Türkei, gegen den ausdrücklichen Widerstand des Berichterstatters Philippe Morillon, hineingestimmt. Der französische Liberale legte daraufhin den Vorsitz der EP-Türkei-Parlamentskommission nieder.

Für den Antrag hatten sich vor allem die europäischen Christdemokraten, die Grünen und die griechischen Abgeordneten eingesetzt. Der für die EU-Erweiterung zuständige Kommissar hatte das Parlament zuvor aufgefordert, auf den Zusatz zu verzichten und die Türkei nach den beim Helsinki-Gipfel der EU im Dezember 1999 festgelegten Kriterien zu beurteilen.

In der türkischen Regierung, aber auch in den meisten Zeitungen, ist die Resolution mit Verbitterung aufgenommen worden. Außenminister Ismail Cem, der zu den eifrigsten Verfechtern eines türkischen EU-Beitritts gehört, sagte, es fällt schwer, das Parlament noch ernst zu nehmen. Das EP hätte einen verzerrten Blick auf die Türkei und sei auch nicht davon abzubringen.

Ministerpräsident Ecevit bezeichnete die Aufforderung des EP als Anmaßung, die den historischen Tatsachen nicht entsprechen würde. Der Beschluss ist Wasser auf die Mühlen der türkischen EU-Skeptiker die damit erneut bewiesen sehen, dass die EU den gesamten Prozess nur benutzt, um die Türkei vorzuführen und zu demütigen.

Daniel Cohn-Bendit, der Stellvertreter Morillons in der Kommission, versuchte gestern die Aufregung zu dämpfen, um den Schaden möglichst gering zu halten. "Das Leben geht weiter", meinte Cohn-Bendit, "in zwei Wochen redet niemand mehr von dem Beschluss".

JÜRGEN GOTTSCHLICH