Frankfurter Rundschau, 16.11.2000

Deutschland darf kein klassisches Einwanderungsland werden

Thesen zur Zuwanderungspolitik / Vorgelegt vom bayerischen Innenminister Günther Beckstein (CSU)

Auf seiner Sitzung am Montag hat der CSU-Parteivorstand ein Eckpunktepapier zur Zuwanderung beschlossen. Darin warnt die Partei vor einer unbegrenzten Zuwanderung und beharrt auf einer Änderung des Grundrechts auf Asyl. Vorgelegt wurde das Papier von Bayerns Innenminister Günther Beckstein. Wir dokumentieren den Text im Wortlaut. Auch CDU und Grüne haben bereits Papiere zur Einwanderung vorgelegt (FR-Dokumentationen vom 8. und 11. November 2000).

1. Deutschland ist seit Jahren bevorzugtes Ziel von Zuwanderern aus der ganzen Welt. Mit einem Ausländeranteil von 9 Prozent der Bevölkerung (7,3 Millionen, davon drei Viertel aus Nicht-EU-Staaten) nimmt es unter den großen westlichen Industrienationen inzwischen den Spitzenplatz ein. Die Zahl der in Deutschland lebenden Ausländer hat sich zwischen 1979 und 1998 mehr als verdoppelt, von 3,5 Millionen auf 7,3 Millionen Menschen. Die Zahl der sozialversicherungspflichtig beschäftigten Ausländer ist dagegen stetig gesunken. Deutschland ist aber kein klassisches Einwanderungsland und darf dies auch künftig nicht werden. Deutschland ist ein weltoffenes und ausländerfreundliches Land. Grundlage für das Zusammenleben von Deutschen und Ausländern ist unser europäisch-abendländisches Wertefundament - in den Wurzeln Christentum, Aufklärung und Humanismus - als Leitkultur.

2. Wenn wir die Identität unseres Landes bewahren und die Integrationschancen der rechtmäßig bei uns lebenden Ausländer sichern wollen, ist eine Begrenzung der Zuwanderung aus Nicht-EU-Staaten unabdingbar. Keine Gesellschaft kann unbegrenzt Zuwanderung aufnehmen, wenn sie nicht ihre innere Stabilität aufs Spiel setzen will.

3. Die Grenzen der Zuwanderung zu bestimmen und Zuwanderung zu steuern, ist Aufgabe politischer Entscheidung. Innerhalb dieser Grenzen kann eine sozialver-trägliche, maßvolle Zuwanderung aus wirtschafts- und arbeitsmarktpolitischen Gründen sinnvoll und aus humanitären Gründen geboten sein.

4. Nur die Begrenzung der nach wie vor hohen ungesteuerten Zuwanderung nach Deutschland schafft Handlungsspielräume für die Aufnahme von Ausländern, die im Interesse von Staat und Gesellschaft liegt.

5. Nach wie vor werden weniger als 15 Prozent der Antragsteller als Asylberechtigte anerkannt oder erhalten vorübergehenden Abschiebungsschutz. Um den Asylmissbrauch einzuschränken, ist das Grundrecht auf Asyl nach Art. 16a Abs. 1 GG in eine institutionelle Garantie umzuwandeln. Die Aufnahme wirklich politisch Verfolgter bleibt damit gewährleistet. Durch eine Änderung von Art. 19 Abs. 4 GG ist die Einrichtung unabhängiger Beschwerdeausschüsse - etwa nach dem Vorbild Frankreichs - zu ermöglichen, die in einem vereinfachten Verfahren unter Beachtung der rechtsstaatlich und europarechtlich erforderlichen Verfahrensgrundsätze innerhalb kurzer Zeit nach der ablehnenden Entscheidung durch das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge entscheiden.

6. Die Asylverfahren müssen beschleunigt, gesetzliche Regelungen, die den Asyl-missbrauch fördern, wie etwa ein erhöhter Sozialhilfebezug nach längerer Verfah-rensdauer, müssen abgebaut werden. Auch der Vollzug bei der Abschiebung muss gestrafft und effizienter gestaltet werden, um keine Anreize für Zuwanderung unter dem Deckmantel des Asyls zu schaffen.

7. Die vorgesehene Harmonisierung des Asylrechts auf EU-Ebene darf sich nicht auf Mindeststandards beschränken, sondern muss zu einem einheitlichen formellen und materiellen Asylrecht sowie zu einer gerechten Verteilung der Asylbewerber nach Quoten auf die einzelnen Mitgliedstaaten führen. Die aktuellen Vorhaben der Kommission laufen diesen Zielen zuwider. Die vorgesehene Ausweitung des Familiennachzugs von Drittausländern und die vorgeschlagenen Mindeststandards für Asylverfahren auf einem Niveau, das noch deutlich über den deutschen Rechtszustand hinausgeht, machen alle Bemühungen um Begrenzung des Zuzugs auf nationaler Ebene zunichte.

8. Die Aufnahme von Spätaussiedlern muss sich angesichts der zunehmenden Probleme bei der Eingliederung stärker an dem Aufnahmezweck einer Integration deutscher Volkszugehöriger orientieren. Die Integrationsvoraussetzungen für Spätaussiedler müssen verbessert werden.

9. Die Integration der bereits hier lebenden Ausländer muss angesichts der Tendenz bestimmter Gruppen zur Bildung von Parallelgesellschaften verbessert werden. Dazu gehört, die Voraussetzungen an den Familiennachzug von der Erbringung von Integrationsleistungen wie z. B. dem Beherrschen der deutschen Sprache ab-hängig zu machen. Das Nachzugsalter für Kinder muss von derzeit 16 auf 6 Jahre, höchstens aber auf 10 Jahre gesenkt werden, damit die schulische und berufliche Integration erleichtert wird.

10. Zur Sicherung wirtschaftlicher Spitzenleistungen, hoher Innovationskraft und wirtschaftlicher Dynamik muss Deutschland offen sein für ausländische Fachkräfte, Unternehmer und Wissenschaftler. Weltoffenheit ist Voraussetzung für herausragende Leistungen in allen Bereichen, nicht nur im Sport.

11. Zur Zuwanderungssteuerung und -begrenzung ist ein Gesamtkonzept erforderlich, das alle Zuwanderungstatbestände berücksichtigt. Eine wirtschafts- und arbeitsmarktpolitisch begründete Zuwanderung muss sich im Rahmen einer jährlich festzulegenden Quote für Arbeitsmigration halten. Die Festlegung einer solchen Quote darf sich nicht nur am Bedarf an ausländischen Fachkräften orientieren, sondern muss vor allem eine geordnete Arbeitsmarktentwicklung berücksichtigen. Die Quote wirtschafts- und arbeitsmarktpolitischer Zuwanderung wird von der Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrats unter Berücksichtigung des Bedarfs und der Situation am Arbeitsmarkt festgesetzt.

12. Deutschland wird sich seiner Verpflichtung, Menschen in Not zu helfen, auch in Zukunft nicht entziehen und ist auch bereit, Bürgerkriegsflüchtlinge im Zuge internationaler Aktionen aufzunehmen. Gefordert ist auch hier die Solidarität unter den Mitgliedstaaten der EU und eine gleichmäßige Verteilung der Lasten.