junge Welt, 16.11.2000

Interview

Was kritisieren Sie an den Medien in Israel?

jW sprach mit Bryan Atinsky, Mitarbeiter beim »Independent Media Center - Israel« (IMC-Israel, www.indymedia.org.il).

(Die Webseite ging Anfang Oktober an den Start und ist Teil der inzwischen über den ganzen Globus arbeitenden IMCs. Eine Liste ist zu finden unter www.indymedia.org)

F: Weshalb sind Sie als Alternativmedium ausschließlich ins Internet gegangen, also den Weg ins Ungewisse?

Ein wichtiger Grund war, daß in der israelischen Medienszene ein Vakuum sichtbar wurde, das auf den Mangel an aktuellen Nachrichten und kritischer Hintergrundberichterstattung zurückgeht. Es gibt zwar mehrere palästinensische und israelische Webseiten, die kritische Sozial- und Politikanalysen sowie einiges zur Menschenrechtsproblematik liefern - wie Addameer (www.addameer.org), das Alternative Information Center (www.alternativenews.org) und Btselem (www.btselem.org). Doch sie sind uns entweder zu speziell auf ein Thema zugeschnitten oder aber nicht aktuell genug.

Wir wollten bei den von den Großkonzernen gesponserten und bei den nationalen Mainstream-Medien nicht länger um Aufmerksamkeit für die vielen kritische Geschichten betteln. Außerdem waren einige Menschen, die jetzt Teil des IMC- Kollektivs sind, unzufrieden mit dem Wirkungskreis des Magazins Can - hebräisch für »Jetzt«. Sie hatten acht Monate lang bei Can gearbeitet. Aber in einer zehnseitigen Monatszeitung mit einer 10 000er-Auflage sind viele Sachen nicht mehr aktuell, wenn sie publiziert sind. Und es herrschte Uneinigkeit, was abgedruckt werden sollte. Von zehn Seiten handelten manchmal drei oder vier von Themen wie Globalisierung, Tibet oder den Indianern in Südamerika - wichtige Themen, aber da bleibt kaum genug Platz übrig für wichtige Diskussionen und die brisanten regionalen Themen.

F: Wo stehen Sie im politischen Spektrum Israels?

Alle Mitglieder des IMC-Kollektivs verstehen sich eindeutig als Linke, bezüglich ihrer Haltung zur politischen Ökonomie und bezüglich ihrer Haltung zur Palästina-Frage. Wir bekommen alles zur Veröffentlichung auf der Webseite: vom soften israelischen Spektrum, das immer noch innerhalb des zionistischen Konsens arbeitet, bis zu post- und antizionistischen Organisationen aus Israel und Palästina. Trotzdem werfen wir rechte Beiträge von Siedlern nicht unbedingt raus, solange sie nicht herumpöbeln oder zu Gewalt aufrufen. Wenn etwas aus jener Richtung kommt, dann verstehen wir das als Begreifenlernen der feindlichen Denkensart, um ihre »Logik« besser auseinandernehmen zu können. Hochinteressant sind jedenfalls immer die klugen Gegenartikel.

Zum Verständnis wichtig ist das eigentümliche Rechts- Links-Schema in Israel, das sich von dem in anderen Ländern stark unterscheidet. Politisch links wird außerhalb Israels fast immer an den Kriterien Ökonomie und Kultur gemessen. Hier ist das Kriterium die Haltung zu den Palästinensern. Barak gilt als links, nur weil er mit ihnen gesprochen hat. Um als links zu gelten, muß man noch nicht einmal glauben, die Palästinenser hätten einen Zipfel eines Bantustan-Staates verdient. Wer ihnen ein bißchen Autonomie zugesteht, gilt schon als radikal links. Bezüglich einer Kapitalismus-Kritik existiert mit Ausnahme der Kommunisten von der Chadasch-Partei keine Linke. Denn sowohl Labour als auch Likud verstehen sich gleichermaßen als Träger der neoliberalen Revolution nach dem Motto: amerikanischer als Amerika.

F: Was ist an der israelischen Medienberichterstattung über den Palästinenseraufstand zu kritisieren?

Die allermeisten Medien sind mit schwerer Schlagseite den israelischen Politikvorgaben verpflichtet. Die nationalen Medien gehen dabei sowohl selektiv als auch irreführend vor, und das gilt für Radio, Presse und Fernsehen. Daß es sich um einen palästinensischen Unabhängigkeitskrieg handeln könnte, wird ausgeschlossen. Es heißt hier »Krieg zur Zerstörung Israels«, »Heiliger Krieg gegen Israel« oder »Was heißt Unabhängigkeit, die Palästinenser sind doch unabhängig, sie benutzen das doch nur als Ausrede, um uns ins Meer zu treiben«. Entlang dieser Linien wird der Konflikt in den israelischen Medien präsentiert. Was nicht vorkommt, weil es das Bild zum Wackeln bringen würde, sind die schlimme wirtschaftliche Situation der Palästinenser, die hohe Arbeitslosigkeit, die Tatsache, daß palästinensische Autonomie nur ein Inselreich ist - umgeben von hochgerüsteten israelischen Siedlern - und einer israelischen Armee, die letztere ausrüstet und verteidigt.

Wir sind, folgt man den israelischen Medien, anscheinend eine Nation im Belagerungszustand, und nicht die Palästinenser. Diese einseitige Berichterstattung existiert nicht nur in Tageszeitungen wie Yedioth Aharonot (www.ynet.co.il) und Maariv (www.maariv.co.il), sondern auch in der angeblich linken Zeitung Haaretz (www3.haaretz.co.il). Letztere bringt zwar Wichtiges von hervorragenden Journalisten wie Amira Haß und Gideon Levy. Aber wenn man genauer hinsieht, wann und wo die Artikel plaziert sind, dann relativiert sich das. Denn sie erscheinen auf der Meinungsseite, als Kulturkolumne oder in der Kulturgallerie. Gideons wöchentlicher Artikel erscheint zum Beispiel im Wochenendmagazin. Die Leser bekommen den Eindruck, daß die Palästinenser dauernd Juden angreifen und hilflose Soldaten lynchen, daß die Palästinenserbehörde ignorant sei und jeden logischen Kompromiß verhindern würde. Das ist der Hintergrund, vor dem die Leser auf die »Wahrheitsfindung« seitens der Medien angewiesen sind. Ein kritischer Text im Kulturteil erscheint da halt als linker Ausrutscher, während ein blödsinnig einseitiger Artikel auf der Titelseite für wahr befunden wird.

Interview: Max Böhnel