Frankfurter Rundschau, 15.11.2000

Fremdenfeindlichkeit ist für Zuwanderer aus Türkei größtes Problem

NRW-Landesregierung stellt repräsentative Studie vor / Zu wenig Deutschkurse / Rückzug in Ghettos scheint gebremst

Von Rheinhard Voss

Fremdenfeindlichkeit der Deutschen ist für die hier lebenden Türken das größte Problem. Das geht aus einer repräsentativen Studie über die Befindlichkeit der 715 000 in Nordrhein-Westfalen lebenden türkischstämmigen Frauen, Kinder und Männer hervor. Sie wurde im Auftrag des Düsseldorfer Sozialministeriums vom Essener Zentrum für Türkeistudien durchgeführt.

DÜSSELDORF, 14. November. Insgesamt leben in der Bundesrepublik knapp 2, 2 Millionen Menschen türkischer Abstammung. Bei der nach Kenntnis des Düsseldorfer Sozialministers Harald Schartau (SPD) einzigen Repräsentativumfrage über "Die Lebenssituation und Partizipation türkischer Migranten" nannten 90 Prozent der Befragten die Fremdenfeindlichkeit ihrer deutschen Umgebung als das zentrale gesellschaftliche Problem. Bei einer Stichprobe im vergangenen Jahr hatten "nur" 75 Prozent die Fremdenfeindlichkeit als Problem genannt.

Eine deutliche Mehrheit der Befragten fühlt sich dabei von den Parteien, der Bundes- und der nordrhein-westfälischen Landesregierung sowie den kommunalen Ausländerbeiraten allein gelassen.

Bei der Vorstellung der Studie beklagte Schartau deshalb "erhebliche Integrationsdefizite", die umso schwerer wögen, weil nach Auskunft der Studie fast zwei Drittel der Befragten keine Rückkehr in die Türkei planen. Jeder Fünfte schließt eine Rückkehr bereits endgültig aus. Es sind vermutlich diese 20 Prozent, die inzwischen die deutsche Staatsbürgerschaft erworben haben. Vor Diskriminierung schützt sie der deutsche Pass allerdings nicht immer: Jeder siebte Moslem gab an, wegen seines Glaubens negative Erfahrungen in Deutschland gemacht zu haben.

Ferner bestätigte die Befragung eine nachlassende Ghettobildung der türkischstämmigen Bevölkerung in NRW: 66 Prozent von ihnen leben in Ortsteilen mit überwiegend deutscher Bevölkerung.

Immerhin 32 Prozent gaben an, in der Familie oder entfernteren Verwandtschaft Deutsche zu haben. Zwei Drittel wünschten sich noch mehr Kontakte zu Deutschen. Das scheitert aber oft an den fehlenden Sprachkenntnissen.

Mehr als die Hälfte der türkischstämmigen Bevölkerung beurteilte selbst ihre Kenntnisse der deutschen Sprache als "mittelmäßig bis schlecht".

Nur sieben Prozent aller Befragten gaben an, hier zu Lande einen Deutschkurs besucht zu haben. Harald Schartau meinte allerdings mit Blick auf diese niedrige Zahl, dass sie nicht in erster Linie den Türken anzulasten sei. Es gebe zu wenig Sprachkurse. "Das Land hat hier eine Bringpflicht", meinte der Minister. Einen wie auch immer gearteten Zwang, die deutsche Sprache zu lernen, könne es deshalb solange nicht geben, bis diese "Bringpflicht" des Staates erfüllt sei.