taz 15.11.2000

Palästina im Belagerungszustand

Nach Anschlägen, denen vier Israelis zum Opfer fallen, riegelt Israel die palästinensischen Städte ab. Radikalere Forderungen auf beiden Seiten.

Jassir Arafat trifft mit jordanischem Islamistenführer zu Koordinierungsgesprächen zusammen

aus Jerusalem SUSANNE KNAUL

Nachdem am Montag vier Israelis von Palästinensern aus fahrenden Autos erschossen wurden, hat das israelische Militär gestern alle palästinensischen Städte im Westjordanland und im Gaza-Streifen abgeriegelt. Wie ein Armeesprecher mitteilte, dürfen künftig keine palästinensischen Wagen mehr außerhalb der Stadtgebiete fahren. Ausgenommen sind Krankenwagen und Lebensmitteltransporte.

Barak berief in der Nacht zum Mittwoch das Sicherheitskabinett ein, um in dieser Frage zu beraten. Der ehemalige Landwirtschaftsminister Rafael Eitan forderte, den Palästinensern jedes Mal, wenn geschossen werde, "Strom und Wasser abzudrehen". Auf der palästinensischen Seite wurde von der Fatah ein Flugblatt in Umlauf gebracht, das alle Palästinenser dazu auffordert, die jüdischen Siedler aus dem "gesamten besetzten Palästina" zu vertreiben.

Palästinenserpräsident Jassir Arafat ist nach Informationen des israelischen Hörfunks beim Gipfel der Organisation der Islamischen Konferenz in Katar mit Chaled Maschal, dem führenden Kopf der jordanischen Hamas, zusammengetroffen. Das Gespräch habe der "Koordination weiterer Aktionen" gedient.

Israels Premierminister Ehud Barak, der vorzeitig von seiner USA-Reise zurückgekehrt war, machte Arafat persönlich für den Tod der vier Israelis am Vortag verantwortlich. Auch Bau- und Kommunikationsminister Benjamin Ben-Elieser erklärte am Dienstagmorgen im Rundfunk: "Ohne das Wissen und die Zustimmung Arafats passiert nichts." Das Treffen zwischen Arafat und Maschal bewertete er als "logische Folge der strategischen Zusammenarbeit". Die Hamas habe längst grünes Licht für Terrorattentate erhalten.

Tatsächlich hatte Arafat kurz nach Beginn der sogenannten Al-Aksa-Intifada zahlreiche militante Aktivisten der Hamas und des Islamischen Dschihad (Heiliger Krieg) aus dem Gefängnis entlassen, offenbar um innerhalb des palästinensischen Lagers die politische Einheit zu stärken, ähnlich wie dies auf israelischer Seite - bislang ergebnislos - versucht wird. Im Oktober wurden Vertreter der Fundamentalisten zu einer Reihe von Treffen mit dem Palästinenserpräsidenten eingeladen. Nach Meinung palästinensischer Beobachter würde diese Allianz allerdings keinen Bestand haben, falls sich die Lage beruhigen und Israel und die Palästinenser an den Verhandlungstisch zurückkehren würden. Einen erste Erschütterung erlebte das Bündnis bereits, als Arafat auf amerikanischen Druck eine Reihe der entlassenen Hamas-Aktivisten wieder verhaften ließ.

Die islamischen Fundamentalisten standen seit 1993, als Israel und die Palästinenser die Osloer Prinzipienerklärung unterzeichneten, in Opposition zur politischen Führung. Ein Zusammengegen mit einzelnen Fatah-Fraktionen schien allerdings möglich, vor allem seit Ausbruch der Unruhen, in deren Verlauf sich die verschiedenen Gruppen unter anderem über Ort und Zeit der Protestmärsche absprachen. Dazu kommt, dass die Tansim, die "Miliz" der Fatah, zunehmend zu einer Strategie gewalttätiger Aktionen übergeht und damit nicht mehr weit von den islamischen Fundamentalisten entfernt ist.

Nach einer jüngst von der Birzeit-Universität vorgenommen Umfrage unterstützen 80 Prozent der Palästinenser "militante Aktionen gegen israelische Ziele". Tansim-Chef Marwan Barghouti kündigte mit Blick auf den 15. November, den Tag, an dem ursprünglich die Proklamation des Staates Palästina geplanten war, weitere "Sonderaktionen" an.