junge Welt, 15.11.2000

Interview

Wie können Gefangene in der Türkei unterstützt werden?

jW sprach mit Sükran Agdas von der Organisation der Angehörigen der politischen Gefangenen TAYAD

Vergangenes Wochenende organisierte TAYAD, die Organisation der Angehörigen der politischen Gefangenen in der Türkei, einen Kongreß in Istanbul, der sich mit dem Widerstand gegen die Einführung der Isolationsgefängnisse in der Türkei befaßte. Sükran Agdas ist TAYAD-Aktivistin. Ihr 15jähriger Sohn wurde 1996 von der Polizei beim Verkauf der linken Zeitung Kurtulus von der Polizei erschossen.

F: Seit dem 20. Oktober sind in der Türkei fast 1 000 politische Gefangene aus verschiedenen revolutionären Organisationen im Hungerstreik, um die Einführung von Isolationsgefängnissen zu verhindern. Bekommen die Gefangenen Solidarität aus der türkischen Gesellschaft?

Seit über sechs Monaten unterrichtet TAYAD die Öffentlichkeit über die Einführung der Isolationsgefängnisse. Besonders Künstler, Ärzte, Journalisten und Architekten wurden angesprochen. Trotz unserer intensiven Öffentlichkeitsarbeit ist die Unterstützung der Hungerstreikenden noch nicht ausreichend, es ist in der Türkei kein gesellschaftliches Thema. Erst wenn die ersten Gefangenen in Särgen aus dem Gefängnis getragen werden, interessiert sich die Öffentlichkeit dafür und stürzt sich wie Aasgeier darauf.

F: Vergangenes Wochenende hat TAYAD in Istanbul einen Kongreß zu den Isolationsknästen organisiert. Was war das Ziel der Veranstaltung?

Wir haben bei unserer Arbeit gegen die Isolationsgefängnisse die Erfahrung gemacht, daß sich Leute dagegen mobiliseren lassen. Doch es gibt über die Alternativen keine einheitliche Meinung. Alle machen unterschiedliche Lösungsvorschläge. An der Situation der Gefangenen ändert sich dadurch nichts. Wir haben eine Dachorganisation für den Kongreß gegründet, damit die Angehörigen und Gefangenen selbst zu Wort kommen. Unser Ziel war, verschiedene Lösungsvorschläge zusammenzutragen und der Öffentlichkeit zu unterbreiten. Wir haben auch bekannte Rechtsanwälte und Künstler eingeladen, damit die Vorschläge, wenn schon nicht von der Regierung, so zumindest von der breiten Öffentlichkeit zur Kenntnis genommen werden. Eine weitere Hoffnung ist, daß wir mit dem Kongreß weitere Betroffene erreichen.

Neben den politischen Gefangenen befinden sich in den türkischen Gefängnissen auch religiöse und soziale Gefangene im Kampf um ihre Rechte. Die Angehörigen dieser Gefangenen, die ihre Stimmen in der Öffentlichkeit bisher noch nicht so wirkungsvoll zu Gehör bringen konnten, hatten sich ebenfalls an diesem Kongreß beteiligt. Wir hoffen, daß sich künftig eine bessere Zusammenarbeit zwischen den Angehörigen verschiedener Gefangenengruppen ergibt.

F: Wie kann ein Kongreß die hungerstreikenden Gefangenen unterstützen?

Unsere Kinder und Angehörigen werden in wenigen Tagen ihren Hungerstreik in ein Todesfasten umwandeln. Wir wollten mit dem Kongreß breitere Bevölkerungskreise für die Ziele der Gefangenen mobilisieren. Sie sollen nicht alleine in diesem Kampf bleiben. Wir wollen verhindern, daß sie, wie so oft in den letzten Jahren, ihr Leben für den Kampf um ihre Rechte geben. Doch wir befürchten, daß auch dieses Mal wieder Gefangene im Hungerstreik sterben werden.

F: Unter den mehr als 300 Teilnehmern des Kongresses befanden sich auch Delegierte aus verschiedenen europäischen Ländern, unter anderem Italien, Deutschland, Spanien und Belgien. Welche Bedeutung hat die Unterstützung aus dem Ausland?

Es ist sehr wichtig für uns, daß Delegierte aus anderen Ländern hier sind, sich unsere Probleme anhören und uns verstehen. Sie haben die Möglichkeit, die Öffentlichkeit in ihren Ländern für die Situation der Menschenrechte in der Türkei zu sensibilisieren. Schließlich will die Türkei in die Europäische Union aufgenommen werden. Nach außen wird von der Abschaffung der Todesstrafe und dem Ende der Folter geredet. Gleichzeitig werden die Gefangenen in den Knästen gefoltert und ermordet. Doch die Aufnahme in die EU soll nicht mit dem Blut unserer gefangenen Angehörigen erkauft werden.

Es gibt verschiedene Möglichkeiten, in Europa aktiv zu werden. Man kann Protestmails gegen die Einführung der Isolationsknäste an die türkische Regierung schicken sowie Veranstaltungen und Demonstrationen organisieren.

Interview: Peter Nowak, Istanbul