Süddeutsche Zeitung, 14.11.2000

WEU - am Ende nur ein leerer Rahmen

In Brüssel wurde sie 1948 geboren, in Marseille am Montag zu Grabe getragen. Die Westeuropäische Union (WEU), jene seltsame Militärorganisation, die fünf Jahrzehnte nicht leben und nicht sterben konnte, wird nun in die EU integriert. Ihre Aufgaben übernimmt künftig die schnelle Eingreiftruppe der Europäer. Zur Beerdigung in der französischen Mittelmeerstadt schickten die Außen-und Verteidigungsminister von 28 Staaten - zehn Kernmitglieder, die der Nato und der EU angehören, dazu assoziierte Staaten und Beobachter - ihre Stellvertreter. Beim letzten Ministertreffen ging es nur noch um Formalitäten und einen Sozialplan für die Mitarbeiter.

Während des wenig aufregenden Lebens der WEU ist nie so richtig bekannt geworden, was sich hinter diesen drei Buchstaben verbarg. Die Westeuropäische Union hat immer im vollen Schatten der Nato gestanden. Zeitweise hatte die Politik sie vergessen. Und auch nachdem sie zu Beginn der neunziger Jahre zum europäischen Pfeiler des westlichen Bündnisses ernannt worden war, fristete sie sicherheitspolitisch eine untergeordnete Existenz.

Ihre Entstehung verdankte die WEU 1948 der Unsicherheit zu beginn des Kalten Krieges und der Sorge über eine neuerliche Bedrohung durch Deutschland. 1954 scheiterte der Plan einer Europäischen Verteidigungsgemeinschaft. 1955 garantierten die Westeuropäer in der WEU einander bedingungslosen Beistand. Die Bundesrepublik war dabei, unterlag aber Beschränkungen in der Rüstungsproduktion. Der Beitritt zur WEU ebnete Bonn den Weg in die Nato, während des Kalten Krieges alleiniger Sicherheitsgarant Europas. Vollmitglieder waren Belgien, Deutschland, Frankreich, Griechenland, Großbritannien, Italien, Luxemburg, die Niederlande, Portugal und Spanien.

Die Wiederbelebung geschah in den achtziger Jahren. 1992 wurden die "Petersberg-Aufgaben" beschlossen, mögliche Einsatzfelder von der Katastrophenhilfe bis zu friedenschaffenden Missionen. Erst nach dem Schock des Kosovo-Krieges wuchs der Wille zur europäischen Sicherheits-Identität. Deshalb geht die WEU, zuletzt ohnehin nur noch ein leerer Rahmen, nun in der EU auf.

Udo Bergdoll