Süddeutsche Zeitung, 14.11.2000

Amüsement statt Abschreckung

Der Prozess um die tödliche Hetzjagd von Guben wurde zur Farce

Die Angeklagten zeigten dem Gericht von Anfang an, was sie von ihm hielten. Sie kamen ständig zu spät zur Verhandlung, ließen Richter Joachim Dönitz hinter ihnen her telefonieren, sie schickten ein Fax und meldeten sich krank und kamen dann zwei Stunden später putzmunter zur Verhandlung. Mal nickte einer ein, mal feixten sie, wenn die von ihnen verprügelten Afrikaner aussagten. Und auch äußerlich machten sich die elf Angeklagten keine Mühe mehr, irgendetwas zu verdecken. Sie trugen Springerstiefel, extrem kurze Haare, und ein Angeklagter kam sogar mit einer Jacke ins Gericht, auf der die Wörter "Nationaler Widerstand" aufgenäht waren.

Doch Richter Dönitz ließ die säumigen Herren nicht von der Polizei vorführen, er verhängte keine Ordnungsstrafe, er konfiszierte keine Jacke. Lieber vertagte er die Verhandlung, immer wieder. 81 Verhandlungstage brauchte es, bis die elf Angeklagten von Guben am Montag doch noch verurteilt wurden. Ein Jahr und neun Monate nach dem Tod des algerischen Asylbewerbers Farid Guendoul, der unter dem Namen Omar Ben Noui im brandenburgischen Guben lebte, hat das Landgericht Cottbus drei rechtsextreme 20- und 21-Jährige wegen fahrlässiger Tötung, gefährlicher Körperverletzung und Nötigung zu Haftstrafen zwischen zwei und drei Jahren verurteilt. Sechs weitere Angeklagte im so genannten Hetzjagd-Prozess erhielten Bewährungsstrafen zwischen einem und zwei Jahren. Zwei kamen mit einer Verwarnung davon - auch der Angeklagte, der im Februar die Blumen am Mahnmal des verbluteten Algeriers zertrampelt hat. Farid Guendoul hatte in Panik eine Glastür eingetreten, um sich vor den Rechtsradikalen zu flüchten, und sich dabei die Hauptschlagader aufgeschnitten.

"Die Jugendlichen", beklagte Richter Dönitz, seien aus dem Mittelpunkt des Verfahrens gerückt und zu "amüsierten Zuschauern des Versuchs einer Demontage des Gericht gemacht" worden. Einer Demontage, der sich das Gericht nicht energisch genug erwehrt hatte. Immerhin hat der Richter die Möglichkeit, ungebührliches Verhalten vor Gericht zu ahnden - mit Saalverweis, mit Ordnungsgeld. Manche Richter gehen sogar gegen Kaugummi-Kauer vor. In Guben durfte der Angeklagte selbst die Jacke mit dem Aufnäher "Nationaler Widerstand" weiter tragen. "Das Gericht hat sich seine Verhöhnung gefallen lassen", sagt Prozessbeobachter Friedrich C. Burschel, der an mehr als 30 Verhandlungstagen anwesend war.

"Das Gericht scheint nicht in der Lage zu sein, mit den Angeklagten und ihren Anwälten umzugehen", empörte sich Bundestagspräsident Wolfgang Thierse vor Monaten. Er machte öffentlich, dass Brandenburg sogar dem Hauptbelastungszeugen um ein Haar die Aufenthaltsgenehmigung entzogen hätte. Thierse sprach von einem Skandal. Umgehend schrie da der Deutsche Richterbund auf.

Das Gericht hatte ja auch einen schweren Prozess zu bewältigen. 22 Verteidiger traten da auf. Unter ihnen einige, die ihren Mandanten politisch sehr nahe standen. So war der Anwalt Wolfram Nahrath Chef der 1994 verbotenen rechtextremistischen Wiking-Jugend. Sein Mandant nahm während des Prozesses an einem Aufmarsch von Rechtsextremisten teil. Allein 43 Befangenheitsanträge stellten die Anwälte - mal sogar wegen angeblich zu kleiner Tische. Und sie wollten darstellen, dass ihre Mandanten überhaupt keine Schuld am Tod des Verfolgten hatten. Der Algerier habe panikartig reagiert. Vielleicht sei er nur deswegen weggelaufen, weil er Dreck am Stecken hatte - vielleicht als Drogenhändler. Eine Beweiserhebung darüber lehnte das Gericht ab.

Annette Ramelsberger