Neue Zürcher Zeitung (CH), 14.11.2000

Bemühungen Clintons um Nahost-Frieden

Barak und Arafat zu getrennten Besuchen in Washington

Im Schatten des Kampfes um das Weisse Haus haben in Washington Gespräche zur Wiederbelebung der Verhandlungen zwischen Israel und den Palästinensern stattgefunden. Präsident Clintons Autorität gegenüber Arafat und Barak ist merklich gesunken, und die Aussichten auf neue Verhandlungen scheinen nicht allzu gross zu sein.

R. St. Washington, 13. November

Der amerikanische Präsident Clinton hat am Donnerstag den Palästinenserführer Arafat und am Sonntag den israelischen Ministerpräsidenten Barak zu Gesprächen empfangen, deren Ziel die Rückkehr an den Verhandlungstisch war. Arafat verliess Washington am Freitag in Richtung New York, wo er die Vereinten Nationen um die Entsendung von 2000 Blauhelmsoldaten ersuchte. Das Verlangen wurde von Barak sofort blockiert.

Keine einseitigen Massnahmen
Die Ankunft des israelischen Regierungschefs in den USA hatte sich verzögert. Wegen der Entführung eines russischen Flugzeugs nach Israel drehte die bereits über dem Atlantik befindliche Maschine Baraks ab, doch in Israel war der Fall erledigt, ehe der Ministerpräsident eingreifen konnte. Nach 25-stündigem Flug landete Barak schliesslich auf der Militärbasis Andrews des amerikanischen Präsidenten und begab sich ins Weisse Haus. Clinton informierte Barak über sein Gespräch mit Arafat. Der Präsident hatte dem Palästinenserführer vorgeschlagen, noch während seiner Amtszeit in ein Rahmenabkommen über die Wiederaufnahme von Friedensgesprächen einzuwilligen. Arafat habe nicht eindeutig geantwortet. Die Clinton-Administration, die noch biszum 20. Januar im Amt ist, war vor allem bestrebt, ein weiteres Anschwellen der Gewalt zuverhindern und Israeli wie Palästinenser von einseitigen Handlungen abzuhalten, welche die politische Landschaft im Nahen Osten grundlegend veränderten.

Als solche die Zukunft negativ präjudizierende Schritte wurden einerseits die Ausrufung eines Palästinenserstaates am 15. November (eventuell etwas später) erwähnt, anderseits die Grenzziehung Israels in Cisjordanien, verbunden mit der Annexion der grösseren Siedlungen. Für Barak scheint diese Option zurzeit nicht im Vordergrund zu stehen, doch ist sie angesichts derinnenpolitischen Verhältnisse in Israel nicht auszuschliessen. Nach Angaben hoher politischer Beamter des Weissen Hauses haben sowohl Barak wie Arafat ihre Bereitschaft zur Rückkehr an den Verhandlungstisch bekundet. Offen bleiben die Fragen des Zeitpunkts und der Bedingungen. Ein Gipfeltreffen bereits in zwei Wochen (zum amerikanischen Thanksgiving Day) ist entgegen den Gerüchten nicht geplant.

Israel fordert Verhandlungen
Der israelische Ministerpräsident, von den Strapazen seiner Reise sichtlich gezeichnet, ist am Montagvormittag nach Chicago weiter geflogen, wo er an der Jahrestagung der vereinigten jüdischen Gemeinschaften eine Rede zur Lage haltenwird. Vor seiner Abreise aus Washington kritisierte er kriegerische Erklärungen einiger islamischer Leader an der Gipfelkonferenz in Katar.Die richtige Lösung müsse in Verhandlungen gefunden werden, sagte Barak.

Andauerndes Blutvergiessen
Jerusalem, 13. Nov. (Reuters) Am Montag sind bei blutigen Auseinandersetzungen im Gazastreifen und im Westjordanland vier Israeli und zweiPalästinenser ums Leben gekommen. Laut israelischen Radioberichten feuerten Palästinenser auf Autos in der Nähe der jüdischen Siedlung Ofra und töteten dabei drei jüdische Siedler, acht weitere wurden verletzt. Die Siedler befanden sich auf einer Umfahrungsstrasse ausserhalb der Stadt Ramallah. Im Gazastreifen wurden zwei palästinensische Jugendliche und später ein israelischerLastwagenfahrer erschossen. Augenzeugen berichteten, dass es zum Zeitpunkt der Schüsse aufdie palästinensischen Jugendlichen keine Zusammenstösse mit israelischen Soldaten gegebenhabe. Dagegen beschuldigten Palästinenser israelische Soldaten, die beiden Jugendlichen erschossen zu haben. Nach Angaben der Augenzeugen wurde einer der Halbwüchsigen vor seinem Haus erschossen, der andere, als er dem Angeschossenen zu Hilfe eilen wollte. Die israelische Armee teilte mit, sie prüfe den Vorfall.