Neue Zürcher Zeitung (CH), 14.11.2000

Revolutionsjustiz gegen Irans Reformer

Abschreckende Strafanträge und hinkende Beweise

Die iranischen Revolutionsgerichte haben gegen 17 prominente Reformer Verfahren angestrengt, die mit absurd scharfen Strafanträgen die Einschüchterung aller innovativen Kräfte zum Ziel haben. Den Vorwand für diese Maulkorb-Kampagne lieferte die Teilnahme der Angeklagten an einer Konferenz über die Erneuerung Irans in Berlin.

vk. Limassol, 13. November

Seit dem 4. November haben die Revolutionsgerichtshöfe in Teheran einen wahren Rachefeldzug gegen vierzehn Journalisten und Bürgerrechtsaktivisten begonnen, die noch während der letzten Parlamentswahlen vom Februar als Wegweiser des iranischen Reformprozesses galten. Um den Eindruck einer Kampagne zu vermeiden, wurden die vierzehn in separaten Verfahren vorgeladen; drei weitere Reformer waren schon früher belangt worden. Absurde Anklagen wegen Gefährdung der nationalen Sicherheit und Strafanträge von zwischen einem Dutzend Jahren Gefängnis und der Todesstrafe bestätigen die schlimmsten Befürchtungen: Die verzettelte Machtverteilung der Islamischen Republik erlaubt es sowohl dem Reformer-Präsidenten Khatami, die Intellektuellen zur vollen Beanspruchung ihrer Bürgerfreiheiten zu ermuntern, als auch der konservativen Justiz, eben diese schutzlosen Bürgerrechtler dann wegen ihrer legitimen Bestrebungen als Staatsfeinde zu verfolgen.

Strafe für Ausschreitungen der Exiliraner
Die Revolutionsjustiz fand den geeigneten Vorwand für ihre Strafverfahren gegen siebzehn Intellektuelle in einer Berliner Konferenz des Heinrich-Böll-Instituts vom April über die Zukunft der iranischen Reformen. Zwei der Teilnehmer wurden bei ihrer Rückkehr aus Berlin festgenommen, die andern blieben in provisorischer Freiheit bis zum Prozess. Der berühmteste Angeklagte, dem die Herzen einer ganzen Generation iranischer Studenten zuflogen, ist der Enthüllungsjournalist Akbar Ganji. Er hat durch die Implikation hoher iranischer Geheimdienstagenten einiges Licht in die Serie der Morde an Freidenkern von Ende 1998 gebracht. Er fühlte sich im Schutze seiner Popularität so sicher, dass er freimütig in der iranischen Öffentlichkeit über die Säkularisierung der Islamischen Republik spekulierte.

Die Ankläger und Richter suchen nun in hinterlistiger Weise die Teheraner Teilnehmer der Berliner Konferenz für die Entgleisungen jener Veranstaltung zu bestrafen, welche aber klar Exilaktivisten, meist aus dem Umfeld der verbotenen Volksmujahedin, anzulasten sind. Während die Intellektuellen aus Teheran im Wesentlichen Reformaussichten unter Respektierung der Velayat-eFagih, der Herrschaft des Gottesgelehrten, vortrugen, verstiessen die Exilaktivisten nach Kräften gegen die Tabus der islamischen Revolution. Sie nutzten die Arglosigkeit der deutschen Veranstalter aus und brachen in die Konferenz ein, skandierten provozierende Parolen, tanzten im Saal, bis einige Frauen zur Krönung auch noch ihre Kleider abwarfen. In Teheran verpassten es die konservativen Einpeitscher nicht, diese Szenen ausgiebig über das Staatsfernsehen zu verbreiten, versehen mit dem irreführenden Kommentar, so sähen die wahren Reformvorstellungen der Intellektuellen aus Teheran aus. Die bedrohlichste Anklage der Feindschaft gegen Gott, worauf die Todesstrafe steht, betrifft die beiden Übersetzer Khalil Rostamkhani und Said Sadr sowie den Geistlichen Hassan Eshkevari, weil sie den deutschen Organisatoren zur Hand gegangen waren.

Die anderen Angeklagten ringen mit dem milderen Vorwurf antiislamischer Aktivität an der Konferenz, womit ihr Kampf für die Bürgerfreiheiten diskreditiert wird. Dabei macht es allein die Unterwerfung unter den Schleierzwang bei den sechs betroffenen Frauen augenfällig, dass sie sich bewusst im Rahmen der islamischen Revolution halten, um mit deren Argumenten für dieRechte des schönen Geschlechts und der Gesellschaft zu kämpfen. Die Anwältin Mehrangiz Kar hat mehrere Bücher über Frauenrechte im Islam geschrieben; die Herausgeberin und die Direktorin des Frauenmagazins «Zanan», Shahla Lahijiund Shola Sherkat, sind ebenso geachtete Stimmen wie die Romanautorin Monirou Ravanipur, die Akademikerin Khadije Moghaddam und die Parlamentarierin Jamileh Kadivar, die Gattin von Kulturminister Mohajerani. Zu den viel gelesenen Journalisten zählen Hamidreza Jalaipur, Alireza Alavitabar und der Ökonom Fariburz Raisdana. Der Romancier Mahmud Doulatabadi braucht dank den zahlreichen Übersetzungen seiner Werke im deutschen Raum keine Einführung mehr. Aus dem Kreis von Mehdi Bazargans halblegaler Freiheitsbewegung stammt der Chefredaktor von «Iran-e farda», Ezzatollah Sahabi. Die letzten Angeklagten sind der Poet Mohamed-Ali Sepanlou und der Studentenaktivist Ali Afshari.

Präsident Khatami auf einsamer Flur?
Zählt man zu diesen jüngsten Angeklagten noch die früheren Opfer der konservativen Justiz, etwa den abgesetzten Teheraner Bürgermeister Karbasji, den ehemaligen Innenminister und Vizepräsidenten Abdallah Nuri und den Chefredaktor Shamsolvaizin vom verbotenen Reformerblatt «Neshat», so rundet sich die Liste der führenden liberalen Politiker ab. Zu ihnen gehörte auch der Journalist und Vordenker von Khatamis Reformpartei Musharakat, Said Hejarian, der seit einem Attentat mitten in Teheran im März an den Rollstuhl gefesselt ist. Weiter entzog ein Gericht den zwei prominenten Anwälten Shirin Ebadi und Mohsen Rahami, die sich als Verteidiger der Bürgerrechtler hervortaten, für fünf Jahre die Berufslizenz und die zivilen Rechte.

Von den Galionsfiguren bleiben noch Präsident Khatami selbst und sein Bruder Mohammed-Reza, der Parlamentarier und Leiter der Musharakat-Partei. Kulturminister Mohajerani windet sich unter dem Druck einer Anschwärzungskampagne seit Monaten vor dem letzten Schritt zum Rücktritt. Das politische Geschick des Präsidenten entscheidet sich im kommenden Frühling, wenn er sich zur Wiederwahl stellen muss. Falls das Kalkül der Konservativen mit den autoritären Grundzügen iranischer Politik an sich zutrifft, so müsste nach der Lahmlegung aller führenden Reformer die breite Volksbewegung für Erneuerung unterdrückt sein. Das Pendel würde dann wohl wieder zum islamischen Immobilismus der Revolutionsveteranen zurückschlagen.