Süddeutsche Zeitung, 13.11.2000

Einer der blutigsten Tage seit langem

Am Samstag starben bei neuen Unruhen zwölf Menschen / Arafat kündigt weiteren Widerstand an / Von Thorsten Schmitz

Jerusalem - Die blutigen Unruhen in den Palästinensergebieten haben am Wochenende an Intensität wieder zugenommen. Bei mehreren Gefechten wurden am Samstag zehn Palästinenser und zwei israelische Soldaten getötet. Am Sonntag erschossen israelische Soldaten einen jugendlichen Palästinenser am Gaza-Kontrollpunkt Erez, nachdem dieser mit Steinen auf sie geworfen hatte. Ebenfalls am Sonntag schossen palästinensische Extremisten in Beit Dschallah auf israelische Soldaten und Zivilisten im Jerusalemer Vorort Gilo. Es war das erste Mal, dass Palästinenser den Jerusalemer Vorort tagsüber angriffen. Nach palästinensischen Angaben wurden bei dem Feuergefecht mindestens sieben Palästinenser verwundet, unter ihnen ein 12 Jahre alter Junge. Bewohner aus Gilo berichteten, außer Wohnungen sei auch ein Kindergarten unter Beschuss gekommen.

Professoren beschossen

Israelische Truppen feuerten am Sonntag an der Grenze zum Süd-Libanon auf eine Gruppe jordanischer Universitätsprofessoren, die von libanesischen Journalisten begleitet worden waren. Die Gruppe hatte sich in der Nähe der Schebah-Farmen aufgehalten, wo vor vier Wochen drei israelische Soldaten von der pro-iranischen Hisbollah-Miliz in den Libanon verschleppt worden waren. Nach Medienberichten vom Wochenende sind die Soldaten tot.

Ein jüdischer Siedler schoss nach Angaben des Armeerundfunks einen palästinensischen Jugendlichen nahe Bethlehem in die Beine. Der Junge habe Steine auf den Wagen des Siedlers geworfen. Nahe der jüdischen Siedlung Kfar Darom im Gaza-Streifen explodierte eine Bombe. Niemand wurde verletzt.

Bei einer der gewalttätigsten Konfrontationen seit Ausbruch der Unruhen waren bereits am Samstag zehn Palästinenser und zwei israelische Soldaten getötet worden. Die Soldaten wurden in Bethlehem und in Gusch Katif im Gaza-Streifen von Palästinensern erschossen. Die israelische Armee eröffnete daraufhin das Feuer auf eine Gruppe von Palästinensern und tötete zwei Palästinenser in einem Wagen. Nach übereinstimmenden palästinensischen und israelischen Angaben handelte es sich bei den zwei Getöteten um palästinensische Polizisten, die das Feuer auf israelische Soldaten eröffnet hatten. Weitere acht Palästinenser erlagen am Samstag ihren Schusswunden in den Gaza-Orten Karni, Gusch Katif, Erez Checkpoint sowie in den Westbank-Städten Hebron, Dschenin und Bethlehem. Die israelische Armee reagierte mit Panzerabwehrraketen und Granaten auf Ramallah und El Bireh, nachdem palästinensische Extremisten die jüdische Westbank-Siedlung Psagot beschossen hatten. Seit Ausbruch der Unruhen sind mindestens 206 Menschen getötet worden, die Mehrzahl Palästinenser.

Generalstabschef Schaul Mofaz kritisierte am Sonntag Palästinenserpräsident Jassir Arafat und warf ihm vor, sich nicht an das in Scharm el-Scheich getroffene Waffenstillstandsabkommen zu halten. "Falls die Palästinenser nicht bald den Aufstand beenden, werden wir andere Maßnahmen zu treffen haben.

Arafat indes kündigte weiteren Widerstand gegen Israel an, ließ jedoch zugleich den Weg für Gespräche offen. "Solange Israel Macht und Gewalt gegen uns einsetzt, muss der Volksaufstand weitergehen", sagte Arafat zum Auftakt des dreitägigen Gipfeltreffens der Organisation der Islamischen Konferenz in Doha (siehe nebenstehenden Bericht). In der Nacht zum Samstag hatte der UN-Sicherheitsrat Arafats Forderung nach Entsendung einer Schutztruppe in die Autonomiegebiete zurückgewiesen. Der Antrag der Palästinenser wurde nur von sieben nicht-ständigen Ratsmitgliedern unterstützt, wie der Präsident des Sicherheitsrates, Peter van Walsum, mitteilte. Der US-Botschafter bei den UN, Richard Holbrooke, sagte, Washington sei gegen eine Schutztruppe, solange Israel den Vorschlag nicht mittrage. Arafat hatte an die 15 Ratsmitglieder appelliert, die Bevölkerung im Westjordanland und im Gazastreifen mit einer 2000 Mann starken Schutztruppe zu schützen.