Frankfurter Rundschau, 13.11.2000

Verhalten positiv

Türkische Reaktionen auf das EU-Dokument zum Beitritt

Von Gerd Höhler (Athen)

"Wollen wir in die EU?" fragte die Istanbuler Zeitung Radikal. "Wenn ja, müssen wir an die Arbeit gehen!" Das diese Woche von der EU-Kommission vorgelegte Dokument zur Beitrittspartnerschaft hat in Ankara gemischte Reaktionen ausgelöst. "Europas Kriterium ist klar: mehr Demokratie!" fasste die den Islamisten nahe stehende Milli Gazete zusammen. In dem Papier wird die Türkei aufgefordert, die Menschenrechtssituation zu verbessern, Folter und Todesstrafe abzuschaffen, für mehr Meinungsfreiheit zu sorgen und den Einfluss des Militärs zu begrenzen.

Manchen geht das Dokument zu weit, anderen nicht weit genug. So lässt der Text die Kurdenfrage unerwähnt, um die Politiker und Militärs in Ankara nicht zu brüskieren. Lediglich vom Recht aller Türken, ihre Muttersprache zu gebrauchen, ist die Rede - eine vorsichtige Anspielung auf das kurdische Sprachverbot in Schulen und Massenmedien. Das reicht der kurdischen Zeitung Yeni Gündem nicht. Ein Dokument, das nicht einmal das Wort Kurde enthalte, sei "nicht akzeptabel", meint das Blatt. Darin sieht auch die vom Verbot bedrohte pro-kurdische Demokratie-Partei des Volkes (Hadep) "einen Mangel".

Die Regierung in Ankara dagegen erweckt den Eindruck, sie könne mit dem Papier ganz gut leben. Die EU-Kommission habe "eine milde Sprache gewählt" und sich große Mühe gegeben, "die Türkei nicht zu irritieren", freute sich der frühere türkische Außenminister Ilter Türkmen. Der Text werde "nichts enthalten, was wir nicht umsetzen können", glaubte Ministerpräsident Bülent Ecevit schon vor der Veröffentlichung des Dokuments zu wissen. Man werde "alles tun, um die Bedingungen zu erfüllen", sagte Regierungssprecher Sükrü Sina Gürel.

"Generell positiv" bewertete auch Außenminister Ismail Cem den Text. Anstoß nahm der Minister allerdings an der Erwähnung der Zypernfrage. Die Türkei solle die Bemühungen der UN zu einer Überwindung der Inselteilung unterstützen, heißt es im Text. "Das gilt für uns nicht" befand Cem. Das scheint die Absicht der türkischen Regierung zu verraten, sich aus dem Dokument nur das herauszupicken, was ihr passt.