taz Hamburg, 13.11.2000

"Morgen fürchten wir alle"

"Ende des Rechtsstaats!?": 100 ExpertInnen diskutieren in Hamburg über Flüchtlingspolitik.

Aufruf an alle demokratischen Kräfte

Von Heike Dierbach

Einen konkreten Anlass hatte die Konferenz nicht. Aber einen "Daueranlass", sagt Sigrid Töpfer vom Hamburger Arbeitskreis "SPIDER: Flüchtlinge - Gesundheit - Vernetzung": "Angesichts der drastischen Verschärfungen im Umgang mit Flüchtlingen 1999 haben wir gesehen: Wir müssen besser werden." Deshalb trafen sich am Freitag und Sonnabend 100 Menschen zur Konferenz "Das Ende des Rechtsstaats!?" in der Evangelischen Akademie in Hamburg, darunter ReferentInnen aus Frankreich und der Schweiz (siehe Interview).

An den Beispielen Hamburg und Berlin sollte analysiert werden, wie "die Menschenrechte der nichtdeutschen Bevölkerung in zunehmenden Maße verletzt werden". Das rot-grüne Hamburg ist dabei bundesweit traurige Spitze, konstatiert Töpfer, "sowohl was die Zahl der Abschiebezahlen als auch die Praxis angeht". Berlin folge dichtauf. Um bundesweit die "demokratischen Kräfte gezielt zum Widerstand gegen diese antidemokra-tische Entwicklung aufzurufen", erarbeitete die Konferenz eine Erklärung. Darin heißt es unter anderem: "Wir treten auf für Legalisierung aller ,illegalisierten' Menschen, Abschaffung der Abschiebehaft und volle Bürgerrechte für MigrantInnen." Und: "Wir treten auf gegen eine Politik, die (ausländische) Menschen nach Nützlichkeit sortiert" und "die heuchlerische Politik, die zwar einerseits Gewalt verdammt und die NPD verbieten will, andererseits aber die Diskriminierung von ,Ausländern' - bis hin zum möglichen Tod - mit staatlichen Mitteln betreibt."

Die Erklärung soll von Menschen verschiedenster Berufsgruppen unterzeichnet werden, um "das gesellschaftliche Ansehen dieser Berufe zu nutzen". Vorbild ist eine Erklärung gegen eine Verschärfung der Ausländergesetze in Frankreich 1997, die 55.000 Menschen unterzeichneten, unter anderem ÄrztInnen, RichterInnen, JournalistInnen, LehrerInnen, Multimedia-Angestellte und sogar PolizistInnen. Die französische Regierung zog daraufhin die Verschärfung zurück.

Weiteres Ziel der Konferenz war eine bessere Vernetzung. Ein erster Schritt sollen regionale Info-Stellen sein, die örtliche Initiativen mit Material und bei der Finanzierung unterstützen. Zudem planen die TeilnehmerInnen für das kommende Jahr eine Plakatkampagne und eine zentrale Konferenz in Berlin, um der Forderung nach einer sofortigen Legalisierung "illegalisierter Menschen" Nachdruck zu verleihen. Keiner könne aus seiner Verantwortung entlassen werden, argumentieren die OrganisatorInnen und warnen: "Maßstäbe, die heute die Flüchtlingspolitik betreffen, müssen wir morgen alle fürchten."

Die Erklärung und ein Reader (ab Januar) können angefordert werden unter Tel.: 44 85 76.