Berliner Zeitung, 10.11.2000

Wie ein Geschenk Gottes

Die Konservativen in Iran nutzen die Berliner Iran-Konferenz weiterhin als Waffe gegen die Reformer

Martina Doering

Die Berliner "Iran-Konferenz", die bereits im April stattfand, entwickelt für die deutsch-iranischen Beziehungen eine enorme Langzeitwirkung. Die Konferenz mit 17 Vertretern der iranischen Reformbewegung war massiv von linksradikalen Exil-Iranern gestört worden, eine Demonstrantin hatte sich dabei aus Protest nahezu entblößt. Für die Konservativen in Iran war das skandalös und für die iranischen Teilnehmer lebensgefährlich: Fast alle wurden nach ihrer Ankunft zeitweise festgenommen, vor kurzem wurden die Prozesse eröffnet. Auch der Dolmetscher der deutschen Organisatoren in Iran, Khalil Rostamkhani, ist angeklagt. Das Gericht hat für ihn am Dienstag die Todesstrafe gefordert, er wird des "Verrats am Islam" und "Krieges gegen Gott" bezichtigt.

Bereits Anfang dieser Woche erhob die iranische Justiz aber auch noch Anklage gegen den iranischen Dolmetscher der deutschen Botschaft in Teheran, Said Sadr, und die in Deutschland lebenden Mitorganisatoren der Konferenz, Bahman Nirumand und Mehdi Jafan Gorzini, die beide die deutsche Staatsbürgerschaft besitzen. Meldungen vom Montag zufolge hatte auch der deutsche Thomas Hartmann betroffen sein sollen. Er hatte die Konferenz im Auftrag der Heinrich-Böll-Stiftung konzipiert und während einer Reise nach Iran Anfang des Jahres die Reformvertreter eingeladen.

Irans Botschafter Ahmad Azizi, der am Dienstag ins Auswärtige Amt einbestellt worden war, konnte darüber informieren, dass zumindest gegen Hartmann keine Anklage erhoben worden sei. Der Vize-Chef der Teheraner Justiz hatte den Bericht zuvor dementiert. Hartmann sei im Zusammenhang mit der Anklageerhebung gegen die anderen nur erwähnt worden, hieß es.

Das ändert nichts daran, dass die betroffenen Iraner zum Teil in Lebensgefahr sind und sich die deutsch-iranischen Beziehungen wieder verschlechtern. Doch sowohl die Berliner Konferenz als auch diese Beziehungen sind nur ein Mittel zur Austragung von Auseinandersetzungen, die rein inner-iranische Probleme betreffen. Für die Konservativen kam die "Konferenz der Schande" im April einem Geschenk Gottes gleich. Rund zwei Monate zuvor hatten sie bei den Parlamentswahlen eine haushohe Niederlage gegen die Reformer hinnehmen müssen. Die "obszönen" Bilder der sich bei der Tagung entkleidenden Frau wurden im Fernsehen gesendet, die landesweite Empörung dann genutzt, um gegen die Reformer vorzugehen. Verhaftungen fanden statt, Prozesse liefen an. Fast alle Zeitungen der Reformer wurden nach und nach verboten. Die Parlamentsdebatte über ein neues Pressegesetz wurde abgesetzt, die Durchsetzung anderer Projekte blockiert.

Die Reformer mussten anscheinend eine Niederlage nach der anderen hinnehmen. Hinter den Kulissen aber lief seit Wochen ein so vorsichtiges wie zähes Ringen ab - zu ihren Gunsten. Lokal- und Provinzzeitungen veröffentlichten weiter kritische Artikel, berichteten über Machtmissbrauch und Angriffe auf Reformkräfte wie in Chorramabad. Der Nationale Sicherheitsrat wies einen Untersuchungsbericht zurück, der die Schuld für die dort ausgebrochenen Unruhen den Reformern anlastete. Der Prozess gegen die Konferenzteilnehmer, darunter die prominente Politikerin Dschamileh Kadivar, muss öffentlich stattfinden. Ein neues Investitionsgesetz fördert die Öffnung Irans gen Westen.

Das Verhältnis Irans zu europäischen Ländern verbesserte sich. Nach dem Besuch von Präsident Chatami in Berlin entspannten sich die Beziehungen vor allem zu Deutschland - und boten sich den Konservativen geradezu an, dort den Hebel anzusetzen. Deshalb erinnerten sie sich der Konferenz und ließen von der Justiz die neuen Anklagen erheben.