Rheinische Post, 10.11.2000

Das Interview

Landrätin Amend-Glantschnig zum Fall Calhan

"Auch Angriffe wider besseren Wissens"

KREIS WESEL (RP). Die Abschiebung von Hüseyin Calhan, Sprecher der Kurden im Kirchenasyl, in die Türkei hat politisch hohe Wellen geschlagen. Im Zentrum der teils äußerst scharf vorgetragenen Kritik stand die zuständige Ausländerbehörde des Kreises Wesel. Kritiker bescheinigten ihr - nicht zum ersten Mal übrigens - eine überharte, unnachgiebige Haltung in humanitären Angelegenheiten.

Als Calhan vor gut einer Woche in sein Heimatland geflogen wurde, machte Landrätin Birgit Amend-Glantschnig gerade Urlaub. Deshalb reagierte sie erst gestern persönlich auf die Kritik. Im Kreisausschuss händigte sie schriftliche Antworten auf 24 Fragen von SPD-Fraktionschef Günter Crefeld aus. Im Gespräch mit RP-Redakteur Bernfried Paus stellte sich die Landrätin zuvor vor ihre Mitarbeiter im Ausländeramt.

Calhan ist in der Türkei. Sind sie erleichtert?

Es geht nicht um meine Befindlichkeit. Ich bin Chefin einer großen Verwaltung, die Entscheidungen auf Grundlage von Gesetzen zu treffen hat, und ich übe ein politisches Amt aus. Von daher muss ich und kann auch mit Kritik leben. Was mich an der ganzen Diskussion im Fall Calhan aber sehr gestört hat, sind die Angriffe gegen meine Mitarbeiter, die ja gar nicht anders können, als sich an Recht und Gesetz zu halten. Und das haben sie getan.

Der Ton war scharf: Der Kreis als Teil einer "barbarischen Abschiebepraxis". Was sagen Sie dazu?

In der Tat bewegte sich die Form der Angriffe teilweise am Rand dessen, was noch hingenommen werden kann. Manches war nicht nur ungerecht, sondern schlichtweg beleidigend. Wir haben mehrfach überlegt, ob wir auf bestimmte Attacken reagieren müssen, um uns zu schützen.

Die Stadt Aachen hat sich eingereiht in die Schar der selbsternannten ,Anständigen`. Der Kreis Wesel geriet dadurch ins Abseits.

Das, was an Aussagen aus Aachen kam, war wenig hilfreich und teilweise einfach falsch. Die Ausländerbehörden sind an Bundesgesetze gebunden. Auch wenn`s immer wieder behauptet wird, da gibt es keine Ermessensspielräume. Wenn Aachen, das ja nicht zuständig war, nach welchen Gesetzen auch immer anders entschieden hätte, wäre die Stadt vom Innenminister angewiesen worden.

Natürlich reißt sich keine Ausländerbehörde um einen Fall, der in der Öffentlichkeit so kontrovers diskutiert wird. Wir konnten die Verantwortung nicht wegschieben und haben sie im Rahmen der Gesetze wahrgenommen. Wenn man uns deswegen angreift, muss ich davon ausgehen, dass es wider besseren Wissens geschieht und es um Politik geht. Dazu aber eignet sich der Fall Calhan ganz und gar nicht. Damit tut man dem Menschen und seinem Schicksal keinen Gefallen.

Trotzdem. Die Kritiker bleiben angesichts des ungewissen Schicksals hartnäckig.

Klar geht`s um ein Schicksal, aber nicht um eine persönliche Entscheidung. Wer den Fall politisch ausschlachtet, dem geht`s um Stimmung. Wenn man anderer Meinung ist, muss man die auf anderer Ebene vortragen. Asylgesetze können geändert werden, und zwar vom Bund. Das Ausländeramt ist da die falsche Adresse.

Manche haben mehr oder weniger offen die Behörde zu zivilem Ungehorsam in humanitärer Absicht aufgefordert. Ist das eine Kategorie, die amtliches Handeln leiten kann?

Das kann nicht sein. Ich muss darauf achten, dass die Gesetze eingehalten werden und kann nicht subjektiv entscheiden. Was wäre im umgekehrten Fall? Dann wäre es ja auch denkbar, dass das Ausländeramt anerkannte Asylbewerber abschiebt, weil ihm die Entscheidung der Gerichte nicht passt. Wenn eine Behörde sich nicht mehr an höchstrichterliche Urteile halten muss, ist der Rechtsstaat am Ende und es herrscht Chaos. Gerade im Fall Calhan sind alle rechtsstaatlichen Mittel ausgeschöpft worden.

Ist mit der Abschiebung die Akte Calhan geschlossen?

Für unsere Behörde ist der Fall damit abgeschlossen. Aber das Schicksal von Hern Calhan ist uns nicht gleichgültig. Wir haben beim Innenministerium nachgehört.