Die Welt, 10.11.2000

"Angemessene Urteile" im Iran gegen angebliche Gotteslästerer

Prozessfarce in Teheran verstimmt Berlin

Von Dietrich Alexander

Berlin - Ein "Mohareb" ist ein Gotteslästerer, ein "Krieger gegen Gott". Im Iran sollte man nicht den Hauch eines Verdachts erregen, Gott, die islamische Republik oder die geistliche Führung in irgendeiner Form beleidigt, kritisiert oder diffamiert zu haben. Mit der Todesstrafe, mindestens aber mit einer langjährigen Haftstrafe oder der Verbannung in die Provinz muss ein "überführter" Mohareb rechnen.

Soviel zur Begriffsklärung, nun zum konkreten Fall. Die konservative iranische Staatsführung ist drauf und dran, nach dem mühsam bewältigten Krisenfall um den Hamburger Kleinkaufmann Helmut Hofer einen neuen diplomatischen Eklat mit Deutschland zu provozieren und gleichzeitig die Reformkräfte im eigenen Land zu diskreditieren. Stein des Anstoßes in Teheran ist die Konferenz der Heinrich-Böll-Stiftung am 7. und 8. April in Berlin zum Thema Iran nach den Wahlen. Die Stiftung hatte dazu 17 namhafte iranische Intellektuelle eingeladen, die nach ihrer Rückkehr alle vor das Revolutionsgericht geladen wurden. Viele kamen gegen Kaution frei, gegen mindestens vier von ihnen läuft der Prozess, darunter gegen die prominenteste Politikerin Irans, Dschamileh Kadiwar. Der Geistliche Hassan Jusefi-Eschkewari, war bereits zuvor von einem Klerikalgericht verurteilt worden. Er hatte sich in Berlin für eine Trennung von Religion und Politik ausgesprochen. Gleichzeitig steht Kadiwars Ehemann, Justizminister Ataollah Mohadscherani, vor Gericht.

Nun erfährt dieser bizarre Fall Weiterungen, die in Berlin auf großes Unverständnis stoßen, hatte man sich doch während des Besuches des als gemäßigt geltenden iranischen Staatspräsidenten Mohammed Chatami im Juli in Berlin so gut verstanden, einen Neubeginn der seit langem frostigen Beziehungen beschworen und die staatlichen Hermesbürgschaften für Investitionen im Iran von 200 Millionen auf eine Milliarde Mark Mark erhöht. Doch jetzt beantragt der Ankläger des Teheraner Revolutionsgerichts für den Übersetzer an der deutschen Botschaft in Teheran, Said Sadr, wegen Propaganda gegen die Islamische Republik Iran die Todesstrafe. Sadr wird vorgeworfen, über die deutsche Mission Flugblätter von Oppositionsgruppen verteilt zu haben. Auch der Mitorganisator der Berliner Konferenz, Thomas Hartmann, wurde offenbar unter Anklage gestellt. Die Konferenz habe nur einem Zweck gedient: dem "Sturz des iranischen Regierungssystems".

"Provokationen und Willkür der iranischen Justiz haben einen traurigen Höhepunkt erreicht", sagte dazu die Grünen-Politikerin Rita Griesshaber, Mitglied im Auswärtigen Ausschuss des Bundestags. Im internen iranischen Machtkampf griffen die reaktionären Kräfte zu immer absurderen Mitteln. Das Auswärtige Amt bestellte den iranischen Botschafter in Berlin ein und Staatssekretär Wolfgang Ischinger trug ihm die deutschen Sorgen vor.

Abdullah Scharifi, der stellvertretende Leiter der Justiz in Teheran, beeilte sich daraufhin mitzuteilen, es bestehe keine strafrechtliche Verfolgung gegen Hartmann. Und der Übersetzer Sadr? Der habe die Kaution von 375 750 Mark bezahlt und sei wieder zu Hause, hieß es in Teheran. Bleiben die vier angeklagten Intellektuellen, gegen die - sollten sie ihrem Prozess fernbleiben - "angemessene Urteile" in Abwesenheit gefällt würden, wie es heißt. "Angemessen" - das ist im Iran zumal bei politischen Prozessen ein dehnbarer Begriff.