junge Welt 9.11.2000

Rufe nach der Folter

US-Think-Tank empfiehlt Arafat Einsatz von Gewalt gegen Oslo-Gegner

Einer der Kernpunkte des »Friedensabkommens von Oslo« zwischen Israelis und Palästinensern bestand darin, daß die durch dieses Abkommen ins Leben gerufene und von PLO- Chef Yassir Arafat geführte Palästinensische Autonomie- Behörde (PA) dem israelischen Staat einen Teil der Arbeit bei der Unterdrückung der Palästinenser abnimmt. Das hat unter anderem der ehemalige israelische Ministerpräsident Yitzhak Rabin in einigen Kommentaren deutlich ausgesprochen.

Die systematische Verwendung von Folter gegen Palästinenser oder auch libanesische Kriegsgefangene durch die israelischen Sicherheitskräfte ist seit Jahren bekannt und wurde gar von israelischen Gerichten als rechtens anerkannt. Ein Beispiel unter vielen war das Kriegsgefangenenlager von Khiam im Südlibanon, in dem in der Zeit von 1985 bis zum Rückzug der israelischen Truppen im Mai dieses Jahres Tausende Libanesen festgehalten, verhört und gefoltert wurden. Eine Reihe der Gefangenen sind daran gestorben. Die Schmutzarbeit wurde hier im wesentlichen nicht von Israelis getan, sondern von ihren christlichen libanesischen Söldnern der »Südlibanesischen Armee« (SLA). Die direkte israelische Beteiligung an den Verbrechen ging ab 1988 zurück, aber alle Einrichtungen des Lagers einschließlich der SLA- Wachmannschaften wurden von Israel finanziert.

Die Aufgabe der Gefängniswächter und Folterer ist jetzt offensichtlich Arafats Behörde zugewiesen worden. Wie der britische Nahostkorrespondent Robert Fisk am 6. November im Londoner »Independent« berichtete, sind führende Palästinenser schockiert über den Bericht eines US- amerikanischen Think Tanks, der sie drängt, »mit aller Härte« gegen Gegner des Oslo-Abkommens vorzugehen, auch wenn das den Einsatz außerordentlicher Gewalt, Verurteilungen ohne ordentlichen Prozeß und »Verhörmethoden, die an psychische oder physische Folter grenzen«, bedeute. Dieser Bericht stammt vom Center for Strategic and International Studies (CSIS). Das CSIS ist der CIA eng verbunden. Bis zu seiner Pensionierung war einer seiner führenden Mitglieder, Ray Cline, ehemaliger CIA-Vizepräsident. Für ihre engen Beziehungen zum Center ist auch die Mannschaft des vermutlich neuen republikanischen US-Präsidenten Georg W. Bush bekannt, dessen Vater selbst CIA-Chef war, bevor er Ronald Reagans Vizepräsident wurde.

Der Bericht des CSIS kommt zu der Einschätzung, daß, selbst wenn es nach der »Zweiten Intifada« zum Frieden kommen sollte, »beide Seiten (Palästinenser und Israelis) noch auf Jahre hinaus gezwungen sein werden, aggressive Sicherheitsoperationen durchzuführen.« Als Musterbeispiel für »effektive Sicherheitsoperationen« nennt der Bericht das Vorgehen der britischen Armee in Nordirland, zu dem »extreme Verhörmethoden und Folter« gehörten. Fisk erinnert daran, daß auch Amnesty International und andere Menschenrechtsgruppen immer wieder darauf hingewiesen hätten, daß Arafats Sicherheitsapparat sich genau dieser Methoden bediene und daß Angehörige der CIA daran beteiligt gewesen seien.

Das auf den 18. Oktober datierte Dokument aus der Hand von Antony H. Cordesman, einem früheren Verantwortlichen für Fragen der Nationalen Sicherheit im Team des gescheiterten republikanischen Präsidentschaftskandidaten John McCain, trägt den Titel »Frieden und Krieg: Israel gegen die Palästinenser« und hat schon große Verbreitung in amerikanischen und israelischen Regierungskreisen gefunden. Folter und andere »nach dem Standard westlicher Polizeikräfte exzessive Gewaltanwendung« hat der Autor namentlich den islamistischen Gruppen Hamas und Jihad Islami zugedacht.

Aber wie aus seiner positiven Bewertung des Einsatzes von Schußwaffen gegen steinewerfende palästinensische Jugendliche zu entnehmen ist, könnten die Mittel auch gegen die Bevölkerung insgesamt angewandt werden, soweit sich diese nicht vom laufenden »Friedensprozeß« überzeugen läßt.

Robert Fisk weist in seinem Bericht aus Gaza darauf hin, daß das Papier auch in die Hände von Mohamed Dahalan und Jibril Rajoub gelangt sei, ihres Zeichens Chefs von Arafats »Präventivem Sicherheitsdienst« in Gaza und Ramallah. Beide seien nach Langley in Virginia geschickt worden, um dort ein »Menschenrechtstraining« vom US-Geheimdienst verpaßt zu bekommen. Welcher Art diese Menschenrechte sind, ist nicht ganz klar wenn man bedenkt, daß die Studie, der es in erster Linie um die Effizienz der Unterdrückung geht, ausdrücklich auf die Notwendigkeit verweise, auch Unschuldige zu treffen.

Anton Holberg