Frankfurter Rundschau, 09.11.2000

Im Dreisprung zur Mitgliedschaft

Kommission legt Zeitplan für EU-Beitrittskandidaten vor

Von unserem Korrespondenten

Es ist eine politische Binsenweisheit, dass man das Ende von Verhandlungen erst dann absehen kann, wenn man kurz davor steht. So dürfen sich die in die EU drängenden Länder Osteuropas nicht wundern, dass ihr Wunsch nach festen Beitrittsterminen in Brüssel weiter auf taube Ohren stößt. Zu vieles ist noch ungeklärt. Zumindest gibt es jetzt aber einen Zeitrahmen für den Abschluss der Verhandlungen.

Die von der EU-Kommission vorgelegte "Wegskizze" gibt den Aspiranten eine Perspektive, wann die dicken Brocken auf dem Tisch liegen. In den vergangenen drei Jahren haben Polen, Ungarn, Tschechien, Estland, Lettland, Litauen, Slowakei, Slowenien, Rumänien, Bulgarien, Malta und Zypern zwar mehr oder minder deutliche Fortschritte bei der Anpassung an die politischen und wirtschaftlichen Regeln der EU gemacht. Aber selbst mit den Ländern, die wie Polen, Ungarn oder Estland zu den Spitzenreitern zählen, sind die schwierigsten Kapitel noch gar nicht eröffnet. Das sind vor allem die, in denen es um Geld und um Freizügigkeit geht.

Diese Bereiche will die Kommission nun in einer Art Dreisprung angehen: In der ersten Hälfte 2001 sollen Themen wie Freizügigkeit von Waren und Kapital ebenso auf den Tisch wie Umwelt und Soziales. Im zweiten Halbjahr sollen neben Wettbewerbs- und Verkehrspolitik auch die besonders sensiblen Bereiche Landwirtschaft und Fischerei eröffnet werden. Und die extrem konfliktträchtigen Dinge wie Direktbeihilfen für Landwirte und regionale Förderung will die Kommission in der ersten Hälfte 2002 angehen.

Damit könnten theoretisch noch im Jahr 2002 die Beitrittsverhandlungen mit den fortgeschrittensten Ländern abgeschlossen werden. In der Praxis hängt das jedoch von drei Faktoren ab: Zum einen müssen die Kandidaten die politischen und ökonomischen Anforderungen der EU komplett erfüllen. Zweitens müssen sich die EU und die Aspiranten auf "Übergangsmaßnahmen" einigen. So kann man etwa von Polen nicht erwarten, dass es mit dem Beitritt gleich alle EU-Umweltstandards erfüllt. Drittens aber müsste die EU, will sie den Bereich Landwirtschaft zu Ende verhandeln, entweder ihren Finanzplan aufstocken, um etwa auch polnische Landwirte in den Genuss der Direktbeihilfen kommen zu lassen, oder der Kuchen müsste neu aufgeteilt werden. Die Chancen dafür stehen schlecht, weil Frankreich 2002 einen neuen Präsidenten wählt. Da wird es keiner wagen, an den Besitzstand der Bauern Hand zu legen.

Bliebe eine Erhöhung des EU-Budgets. Doch zum einen haben sich die Staats- und Regierungschefs bereits dagegen ausgesprochen. Zum anderen dürfte Kanzler Gerhard Schröder im Wahljahr 2002 kaum Neigungen haben, sich eine neue Nettozahlerdebatte einzubrocken.

Dennoch gibt die Kommission mit ihrer "Wegskizze" erstmals einen Zeitplan vor. Ob der realistisch ist, wie die Kommission glaubt, hängt davon ab, ob die EU-Aspiranten ihre Reformprozesse spürbar beschleunigen und ob die EU-Mitglieder generös genug sind, Zusatzkosten für die Erweiterung aufzubringen. (wtr)