Neue Zürcher Zeitung, 9. November 2000

Eine EU-Beitritts-Partnerschaft mit der Türkei

Strategie zur Heranführung

lts. Brüssel, 8. November

Seit dem Europäischen Rat von Helsinki im Dezember 1999 ist auch die Türkei ein anerkannter EU-Beitritts-Kandidat. Im Unterschied zu den Osteuropäern, Zypern und Malta fehlen aber bei diesem Land noch die wirtschaftlichen und vor allem die politischen Voraussetzungen für die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen. Die Kommission äussert sich in ihrem ersten Situationsbericht nach «Helsinki» besorgt über die nach wie vor unzureichende Achtung der Menschen- und Minderheitenrechte sowie über den übermässigen Einfluss der Armee auf die zivilen Behörden.

Die Kommission registriert aber auch positive Zeichen. «Helsinki» habe in der Türkei eine öffentliche Debatte ausgelöst, von der beispielsweise die gegen die Folter ankämpfenden Reformkräfte profitierten. Begrüsst werden die von der Regierung im September als Priorität proklamierten Reformziele sowie die Unterzeichnung von zwei wichtigen Menschenrechtsübereinkommen. Wie der für die Erweiterung zuständige Kommissar, Verheugen, vor dem Europäischen Parlament ausführte, komme es jetzt darauf an, dass den Vorsätzen und Absichten konkrete Massnahmen folgten.

Die EU kritisiert und ermahnt aber nicht nur. Sie will der Türkei im Rahmen der allen Bewerberländern angebotenen Strategie zur Heranführung auch helfen, die nötige «Verhandlungsfitness» zu erlangen. Die Ankara angebotene Beitrittspartnerschaft identifiziert kurz- und mittelfristige wirtschaftliche und politische Bereiche sowie Themen der Rechtsangleichung, wo die Türkei vor der Verhandlungsaufnahme noch Nacharbeit leisten muss. Im politischen Bereich verlangt die Kommission neben internen rechtsstaatlichen Verbesserungen von Ankara auch eine aktive Unterstützung der Bemühungen der Uno um eine vertragliche Lösung des Zypernkonflikts.

Im Gegenzug zu den auferlegten Pflichten legt die Beitrittspartnerschaft aber auch die rechtliche Grundlage für die Finanzhilfe der EU an das politische und wirtschaftliche «Fitnesstraining» der Türkei für ihren langen Weg nach Europa. Laut dem Vorschlag der Kommission stellt die EU ab 2000 jährlich 177 Millionen Euro bereit. Dieses Geld, zu dem noch Kredite der Europäischen Investitionsbank kommen, ist insbesondere für strukturelle und institutionelle Anpassungen vorgesehen. Weiter wird der Türkei die uneingeschränkte Teilnahme an sämtlichen Bildungs- und Jugendprogrammen der EU in Aussicht gestellt, und ab Januar 2001 wird sich das Land am Bosporus auch an den Aktivitäten der Europäischen Umweltagentur beteiligen können.