junge Welt, Interview, 08.11.2000

CDU-Wahlkampf mit Abschiebepolemik?

jW sprach mit Günter Burkhardt, Geschäftsführer der Organisation Pro Asyl in Frankfurt am Main

F: Sowohl die SPD als auch die Bündnisgrünen haben erklärt, die Asyldebatte aus dem Wahlkampf heraushalten zu wollen. Für wie realistisch halten Sie das in Anbetracht des am Montag von der CDU beschlossenen Eckpunktepapiers zur Einwanderung?

Die CDU/CSU arbeitet anscheinend darauf hin, die Asyldebatte zum Wahlkampfthema zu machen. Aus wirtschaftlichen Gründen aber kann die CDU auf Dauer keine Politik gegen die Interessen der Wirtschaft machen, die Einwanderung fordert. Eine Politik gegen Einwanderung brächte die Partei in einen fundamentalen Gegensatz zu ihrer Klientel aus der Wirtschaft. Da sie auf der anderen Seite jedoch den rechten Rand bedienen will und fremdenfeindliche Stimmungen ausnutzen möchte, instrumentalisiert sie das Asylthema.

F: Aber kann man so pauschal sagen, daß »die Wirtschaft« auf Arbeitskräfte angewiesen ist und mehr Zuwanderung fordert?

Pro Asyl ist sicherlich nicht die geeignete Organisation, um den ökonomischen Bedarf der deutschen Wirtschaft einzuschätzen. Was uns aber auffällt, ist, daß gerade jetzt aus den Handwerksbetrieben in Baden-Württemberg massiv die Forderung laut wird, Bosnier, die noch hier sind, nicht abzuschieben, sondern ihnen ein Bleiberecht zu gewähren. Es scheint ein Arbeitskräftebedarf nicht nur im Bereich der Informationstechnologie, sondern auch in Handwerk und anderen Zweigen der Wirtschaft zu geben. Es macht in der Tat keinen Sinn, Menschen, die seit Jahren hier sind, auszuweisen und auf der anderen Seite eine Greencard zu etablieren, um andere anzuwerben.

F: Werden aber gerade in dieser Diskussion nicht die Begriffe Zuwanderung und Asyl vermischt?

Ja, dieses Phänomen ist tatsächlich zu beobachten. Zuwanderung dient in erster Linie den Interessen der Aufnahmegesellschaft. Dabei gibt es ökonomische wie auch demokratische Motive. Asyl ist ein Recht der einzelnen, nicht nur ein Gebot der Humanität, sondern ein Gebot des Völkerrechts, dem die Flucht vor Verfolgung und physischer Bedrohung zugrunde liegt. Pro Asyl fordert in Anbetracht der laufenden Debatte, daß das Grundrecht auf Asyl und die Debatte um Zuwanderung klar voneinander getrennt werden.

F: ... was aber unwahrscheinlich ist, denn damit wäre die These des »Asylmißbrauches« entkräftet.

Die CDU führt diese Diskussion mit Termini wie »Mißbrauch des Asylrechts« und fordert in der Folge die Änderung des Grundgesetzes. Angeblich wegen der ökonomischen Entwicklungen im Rahmen der EU-Politik. Aber erinnern wir uns: 1993 wurde auf Betreiben der CDU das Asylrecht geändert und die Einreise erheblich erschwert. Auch damals wurde mit einer Harmonisierung des Asylrechts an den europäischen Standard argumentiert. Die CDU/CSU argumentiert noch immer wie in den 80er Jahren, obwohl das politische Ziel - die Demontage des Asylrechts - bereits erreicht wurde. Dies ist unlauter.

F: Am Donnerstag findet in Berlin eine großangelegte Demonstration vor dem Hintergrund rechter Übergriffe statt. Diese Demonstration trägt das Motto »Für Toleranz und Menschlichkeit«. Auch CDU-Politiker werden mitmarschieren.

Es ist zwingend erforderlich, daß Tausende gegen Gewalt und Rassismus in Deutschland aufstehen. Dies sind Probleme ersten Ranges. Solche Demonstrationen sind aber nur dann glaubhaft, wenn nicht unterschieden wird zwischen Gewalt gegen Ausländer und Gewalt durch eine offensive Abschiebepolitik. Solch ein Engagement ist nur dann glaubhaft, wenn man auch für die Rechte von Flüchtlingen und für die Achtung der Menschenrechte in Deutschland eintritt.

Interview: Harald Neuber