Die Presse (Wien), 8.11.2000

Mehr Lob als Tadel: Brüssel wird positive Erweiterungsberichte vorlegen

Erstmals wird auch Polen von der EU-Kommission gelobt. Die Verhandlungen bekommen einen genauen Fahrplan. 2002 ist als Abschlußdatum im Gespräch. Von unserer Korrespondentin DORIS KRAUS

Für zügige Erweiterung

BRÜSSEL. Es mag Galgenhumor sein, es mag Zweckoptimismus sein: Die EU-Kommission wird in ihren heute, Mittwoch, vorgelegten Berichten zu den Fortschritten der Beitrittskandidaten jedenfalls einen wesentlich positiveren Ton anschlagen als in den zwei Jahren davor. Zwar wird, wo nötig, auch herbe Kritik geübt, doch scheint diesmal die Losung zu sein, den teilweise frustrierten künftigen EU-Mitgliedern vor allem den Silberstreif am Horizont zu zeigen. Das gilt vor allem für Polen, den größten und schwierigsten Beitrittskandidaten, der in der Vergangenheit wegen mangelnder Fortschritte immer wieder gemaßregelt wurde, diesmal aber vergleichsweise gut aussteigt. Warschau wird unter anderem für seinen Ehrgeiz bei der Übernahme von EU-Recht gelobt. Polen gilt aus politischen Gründen als Fixstarter für die erste Erweiterungsrunde. Mit Deutschland hat Polen einen mächtigen Schirmherr, der die Kontrolle der schwierigen Ost-Außengrenze der EU so rasch wie möglich loswerden will. Eine der Karotten, die die EU-Kommission den Beitrittskandidaten vor die Nase hält, ist ein Datum für den Abschluß der Verhandlungen. Die am weitesten fortgeschrittenen Bewerber könnten bis 2002 fertig sein. Um dieses Ziel zu erreichen, muß allerdings ein rigider Zeitplan eingehalten werden. Dieser legt fest, welche Kapitel wann verhandelt werden sollen, wobei die schwierigsten Brocken wie die Landwirtschaft angeblich bis zum Schluß aufgehoben werden. Ein Datum, wann die ersten EU-Staaten beitreten könnten, stellt die Kommission allerdings nicht in Aussicht. Auch beim EU-Gipfel in Nizza ist hier keine Festlegung zu erwarten. Der nächste EU-Vorsitzende Schweden ist allerdings wild entschlossen, seine Präsidentschaft im Juni 2001 beim Gipfel in Stockholm mit einem fixen Beitrittsdatum abzuschließen. Die wahrscheinlichste Variante ist das Jahr 2005. Die Spitzenreiter unter den Beitrittskandidaten sind Ungarn, Slowenien, die Tschechische Republik und Estland. Sie alle haben gute wirtschaftliche Fortschritte gemacht, haben aber auch ihre Probleme, etwa mit den Roma-Minderheiten. Die Slowakei, Malta und Lettland haben zur ersten Gruppe praktisch aufgeschlossen. Bulgarien schlägt sich ebenfalls nicht schlecht. Litauen und Rumänien gelten hingegen als Nachzügler. Zyperns größtes - und fast einziges - Problem ist ein politisches: seine Teilung in einen griechischen und einen türkischen Teil. Die Türkei - der einzige offizielle Kandidat, mit dem nicht verhandelt wird - wird auch weiterhin EU-Außenseiter bleiben. Die Kommission will angeblich eine Liste von Hausaufgaben präsentieren, auf der die Menschenrechte ganz oben stehen. Ankara hat nach allgemeiner Ansicht in dieser Frage wenig Fortschritte gemacht. Dennoch nimmt Brüssel auf die türkischen Sensibilitäten Rücksicht: Auf "Kurden" oder "Minderheiten" wird in dem Bericht nicht explizit Bezug genommen.