Weser-Kurier online, 07.11.2000

"Flüchtlingsfamilien aktiv einbeziehen"

Ökumenisches Kirchenasyl-Netzwerk tagte in Verden / Gemeinden gewährten viermal Schutz im Landkreis

Susanne Ehrlich

Hildegard Grosse vom Sprecherrat des Netzwerks berichtete, dass zur Zeit in sechs niedersächsischen Gemeinden 37 Menschen vor einer Abschiebung geschützt werden. 1999 habe es 17 Fälle von Kirchenasyl gegeben. Die gegen ein humanes Asylrecht gerichtete politische Stimmung sowie die verschärfte Gesetzgebung hätten jedoch auch in den niedersächsischen Kirchengemeinden zu einer eher sinkenden Bereitschaft geführt, sich für die Unterstützung Asylsuchender zu engagieren.

Die Verweildauer der Flüchtlingsgruppen in den Schutz gewährenden Gemeinden verlängere sich ständig, berichtete Hans-Peter Daub, einer der Organisatoren der Jahrestagung. Von 1994 bis heute sei mehr als 300 Flüchtlingen in Niedersachsen Kirchenasyl gewährt worden. 70 Prozent von ihnen hätten am Ende einen Aufenthaltstitel erhalten.

Bisher hätten vor allem türkische Kurden unter dem aktiven Schutz der Kirchengemeinden gestanden; künftig würden verstärkt Menschen aus dem Kosovo deren Schutz suchen.

Im Landkreis Verden habe es in der Vergangenheit vier Fälle von Kirchenasyl gegeben, zwei davon in Achim und zwei in Wittlohe. Zu den vordringlichsten Aufgaben gehöre die verstärkte Kooperation von Kirchengemeinden und Flüchtlingsinitiativen, erklärte Daub.Hier träfen zwei völlig unterschiedliche Kulturen aufeinander. Denn aktive Gemeindearbeit verstehe sich meist nicht politisch. So herrschten in vielen Gemeinden trotz prinzipieller Einigkeit über die christliche Notwendigkeit des Asylrechts Ängste vor der Auseinandersetzung mit den Behörden, vor Kontroversen innerhalb der Gemeinde und auch vor den hohen organisatorischen Anforderungen des Kirchenasyls.

Zwar sei die Zustimmung des Pfarrers sowie des Kirchenvorstandes Bedingung für die Gewährung des Kirchenasyls, doch sei der Schutz nur mit der aktiven Unterstützung der Gemeinde durchführbar und zu gewährleisten. Zur Öffnung der Gemeinden für die Belange der unter ihnen lebenden Flüchtlinge sei eine verstärkte Öffentlichkeitsarbeit notwendig.

Angela Hesse, Beauftragte des Kirchenkreises Verden für die Arbeit mit Flüchtlingen und Migranten, erklärte: "Oft wird die Gemeinde erst aufmerksam, wenn es zu spät ist, weil eine Abschiebung unmittelbar bevorsteht. Dann werden Schulklassen und Nachbarn aktiv, die zuvor kaum Kenntnis von der Situation dieser Menschen genommen haben. Deshalb ist es wichtig, schon im Vorfeld Begegnungen mit Flüchtlingsfamilien zu fördern und sie aktiv ins Gemeindeleben einzubeziehen."

Weitere Themen der Tagung waren alternative Wege eines legalisierten Aufenthaltes, die Verstetigung bestehender Asylbetreuungsgruppen nach Abschluss der konkreten Fälle, der Aufbau von Netzwerken zwecks Erfahrungsaustausch und gegenseitiger Unterstützung sowie neue Formen der religionspädagogischen Darstellung des Kirchenasyls in den Gemeinden.

Ein gemeinsames Papier von Flüchtlingsinitiativen, Wohlfahrtsverbänden und Gewerkschaften mit der Forderung nach einer sofortigen Härtefallregelung des Ausländergesetzes, das bereits auf dem Weg ins Innenministerium ist, wurde von den Teilnehmern der Tagung unterstützt.Angela Hesse wies darauf hin, dass am Tag der Menschenrechte (10. Dezember) ein Gottesdienst zur Asyl-Thematik in der Achimer St.-Laurentius-Kiche stattfinden wird.