Freitag, 3.11.2000

Hadern mit der gottgewollten Staatsdoktrin

Die Debatte über die Trennung von Staat und Religion ist für das herrschende Ayatollah-Regime eine willkommene Gelegenheit, seine Kritiker zu verketzern

Katajun Amirpur

Wahrscheinlich hatte sich der Staatsanwalt die Sache etwas einfacher vorgestellt. Er hatte Hassan Yussefi Eshkewari der »Apostasie« (des Abfalls vom Glauben) angeklagt, in Iran ein todeswürdiges Vergehen. Vielleicht wollte er an Eshkewari, der sich für die Trennung von Religion und Staat ausgesprochen hatte, ein Exempel statuieren. Der Geistliche hatte außerdem auf einer Konferenz, die im April in Berlin stattgefunden hatte, behauptet, das Tragen des Kopftuches sei im Islam keineswegs obligatorisch. Das reichte, um die Wut der Konservativen auf sich zu ziehen.

Natürlich sind Eshkewaris Äußerungen nicht ohne Brisanz. Mit seiner Forderung nach der Trennung von Staat und Religion hinterfragt er immerhin die Staatsdoktrin der Islamischen Republik. Doch das tun auch andere - und denen wird nicht sofort mit Verketzerung und Todesstrafe gedroht. Über eine mögliche Trennung von religiöser und politischer Institution debattierte man während der vergangenen Monate in Iran jedoch immer häufiger. Früher waren es nur die pro-westlichen Intellektuellen, die Derartiges forderten, damit aber selten in der Öffentlichkeit drangen. Inhaltlich trafen sie sich darin sogar mit den alten, ranghohen Geistlichen der Schia. Für sie ist jedwede Herrschaft - ganz gleich ob von einem König, einem gewählten Parlament oder einem Rechtsgelehrten ausgeführt - illegitim. Diese Quietisten warten auf den Mahdi, der dem jüdischen Messias vergleichbar ist und kommen soll, das gerechte Reich zu errichten. Diese Geistlichen vertreten die orthodoxe Lehre - nicht etwa die Schule um Ayatollah Khomeini. Was er vorschlug, die Herrschaft des Obersten Rechtsgelehrten (»velayat-e faghih«), war vielmehr radikal neu. Die Islamische Republik ist so der erste schiitische Staat, in dem religiöse und politische Institution nicht getrennt sind.

Die alten ehrwürdigen Ayatollahs, die dem Quietismus anhängen, artikulieren sich jedoch nur selten außerhalb ihrer Zirkel. Das öffentlich Engagement hat jetzt eine jüngere Generation übernommen, zu der auch Eshkewari gehört. Nach den Erfahrungen der Islamischen Republik schwenken sie wieder auf die eigentlich orthodoxe Linie ein. Aber an dieser Entwicklung kann der herrschenden politischen Clique nicht gelegen sein, schließlich werden ihre Pfründe durch eine quietistische Religionsinterpretation bedroht. Um die Debatte ein für allemal zu beenden - so mögen die Konservativen gedacht haben - kommt der Fall Eshkewari gerade recht.

Wie man mit ihm umgehen würde, das sollte die Gegner der »velayat-e aghih« endlich in ihre Schranken weisen. Die Konservativen reagieren nicht ohne Grund so nervös. Erst wenige Monate zuvor hatten sie sich in einem weiteren Gerichtsverfahren anhören müssen, wie Abdallah Nuri die göttlichen Vollmachten von Revolutionsführer Ali Chamenei bestritt und dessen gewichtigsten Kritiker - den unter Hausarrest stehenden Großayatollah Montazeri - verteidigte. Und zum größten Held der Studenten ist im Augenblick der Geistliche Mohsen Kadiwar avanciert. Er forderte in der inzwischen verbotenen Wochenzeitung Rah-e nou (Der neue Weg), die Amtszeit des Revolutionsführers zu begrenzen und sein Amt in ein eher repräsentatives umzuwandeln.

Zwar mussten Nuri und Kadiwar für ihre Kritik ins Gefängnis, doch das Land diskutierte freimütig über eine Staatsdoktrin, die angeblich gottgewollt ist. Sicher ist dies die interessanteste Entwicklung seit der Machtübernahme von Mohammad Chatami im August 1997. Drei Tabuthemen sind seither Teil der öffentlichen Debatte geworden: die Morde an Dissidenten, der iranisch-irakische Krieg - besonders die Frage, warum er noch sechs Jahre, nachdem die irakischen Truppen vom iranischen Territorium vertrieben worden waren, weitergeführt wurde und die »velayat-e faghih«.

Doch das Kalkül der Konservativen ging nicht auf. Groß-Ayatollah Montazeri kam Eshkewari zur Hilfe. Keiner der Ankläger habe den religiösen Rang inne, solche »gefährlichen« Anschuldigungen auszusprechen, sagte Montazeri. Er schätze Eshkewari als »frommen und gläubigen« Muslim - seine Ideen würden nicht dem Islam widersprechen. Präsident Chatami wurde von der iranischen Zeitung Hambastegi sogar mit den Worten zitiert: »Der Machthaber darf seine Kritiker nicht zum Apostaten stempeln.« Einen ähnlichen Vorwurf machte auch Chatamis Bruder, der Führer der Partizipationspartei des islamischen Iran, dem Sondergerichtshof für Geistliche. Die ganze Sache sei eingeleitet worden, um »politische Gegner« der Konservativen auszuschalten, sagte Mohammad Reza Chatami.

Wahrscheinlich war der Apostasie-Vorwurf der große Fehler. Selbst ranghohe konservative Geistliche warnten davor, eine solche Anschuldigung auszusprechen. Niemand sei mehr sicher, sollte es erst einmal Teil der politischen Kultur werden, jemanden als Ketzer anzuklagen. Inzwischen scheint sogar der zuständige Richter Gholam-Hussain Mohseni-Ejeei - ansonsten kein Liberaler - eingelenkt zu haben. Er erklärte, der Vorwurf der Apostasie widerspreche sowohl der Definition dieses Verbrechens im iranischen Strafgesetzbuch als auch der Definition, die Ayatollah Khomeini in seinen Werken gegeben habe. Laut Mohseni-Ejeei sind einige Anschuldigungen gegen Eshkewari zurückgenommen worden. Damit dürfte der Apostasie-Vorwurf gemeint sein. Dennoch ist - obwohl das Urteil angeblich gefällt wurde - immer noch nicht publik gemacht, welches Strafmaß gelten soll. Nach Aussage seiner Frau ist auch Eshkewari selbst noch nicht informiert worden. Gerüchte sprechen von zehn Jahren. Doch wie hatte Chatami fast drohend gesagt, als er Eshkewari gegen die Anschuldigungen in Schutz nahm? Einen Mann könne man wegsperren, seine Ideen nicht.