Frankfurter Rundschau, 4.11.2000

Trittin setzt sich für "Illegale" ein

Grüner Minister steckt migrationspolitische Prioritäten ab

Von Vera Gaserow

In der Diskussion über eine Einwanderungsgesetzgebung hat Bundesumweltminister Jürgen Trittin (Bündnisgrüne) eine Amnestie für illegal in Deutschland lebende Ausländer gefordert. Festgelegten Zuwanderungsquoten erteilte der Minister, der auch Mitglied im Parteirat der Bündnisgrünen ist, eine klare Absage.

BERLIN, 3. November. Er halte die Legalisierung der derzeit illegal in Deutschland Lebenden "migrationspolitisch für einen ganz zentralen Schritt", sagte Trittin am Freitag im Gespräch mit der Frankfurter Rundschau: "Wenn man über Einwanderung redet, muss man auch darüber reden, wie man diejenigen, die faktisch schon hier sind und deren Kinder häufig auch unsere Schulen besuchen, aus der Unsicherheit herausholt." Zu dieser "beträchtlichen Anzahl von Menschen" gehörten Flüchtlinge mit ungesichertem Aufenthaltsstatus und Ausländer, die unrechtmäßig eingereist seien. "Ihre Legalisierung wäre der Beginn einer jeden Einwanderungspolitik", befand Trittin.

Andere Staaten hätten dazu "viel klügere Positionen", verwies der Minister auf Stichtagsamnestien für illegale Einwanderer in Frankreich, Italien und Spanien. "Auch in den USA besteht ein Teil der Einwanderungspolitik in der Legalisierung illegal erfolgter Zuwanderung", plädierte Trittin auch in Deutschland für eine "Amnestie, die sagt: Wir verzichten darauf, den Rechtsbruch zu sanktionieren".

Nach Schätzungen von Kirchen und Wohlfahrtsverbänden leben 500 000 bis 1,5 Millionen Ausländer ohne Aufenthaltspapiere als "Illegale" in Deutschland. Dazu gehören auch rund 350 000 nur geduldete Flüchtlinge, die von den Behörden zur Ausreise aufgefordert sind. In der Einwanderungsdiskussion wurde diese Gruppe bisher kaum berücksichtigt.

Die großen Parteien und auch das Bundesinnenministerium lehnen eine Legalisierung mit der Begründung ab, eine solche Regelung würde den Rechtsbruch legitimieren und einen "Sogeffekt" auf Zuwanderer haben. Die Grünen hatten kürzlich auf einer Anhörung auf die drängenden Probleme der "Illegalen" hingewiesen, dabei aber vor allem soziale Mindeststandards bei der medizinischen Versorgung und den Schulbesuch für die Kinder der "Illegalen" angemahnt. Eine Forderung nach deren Legalisierung wird sich voraussichtlich nicht in dem Einwanderungskonzept wiederfinden, das die Grünen am kommenden Mittwoch vorlegen wollen.

Trittin warnte davor, die erforderliche Zuwanderung in einem Einwanderungsgesetz durch feste Quoten zu regeln. Einwanderung sollte eher"flexibel und nach den jeweiligen Bedürfnissen festgelegt werden", plädierte der grüne Minister. Der gesteuerte und von Integrationsmaßnahmen begleitete Zuzug von Aussiedlern könnte dafür Vorbild sein. Auch jetzt bedürfe es keiner formellen Zuwanderungsquote: "Wer das formalisieren möchte, wird am Ende erleben, dass man sehr viel weniger Menschen die Einreise erlaubt, als notwendig wären. Wenn es zu einem solchen Verfahren kommt, setzt sich immer der kleinste Nenner durch und das ist nicht immer der zuwanderungspolitisch vernünftigste."