Neue Zürcher Zeitung (CH), 2.11.2000

Rabiate Siedler greifen palästinensische Bauern an

gsz. Jerusalem, 1. November

Laut palästinensischen Angaben ist es bei der israelischen Siedlung Yitshar am Mittwoch zu einer Schiesserei gekommen, als palästinensische Landwirte aus dem eineinhalb Kilometer entfernten Dorf Urif, die Oliven pflücken wollten, vonSiedlern angegriffen wurden. Zwei palästinensische Bauern sollen schwere Schussverletzungen erlitten haben. Vor zwei Wochen waren zwei Siedler aus Yitshar von der israelischen Polizei unter dem Verdacht festgenommen worden, an der gleichen Stelle einen palästinensischen Bauern erschossen zu haben. Die Verdächtigen wurden jedoch nach zwei Tagen von einem Gerichtgegen Kaution auf freien Fuss gesetzt, da die vorliegenden Beweismittel eine Verurteilung angeblich unwahrscheinlich machten. Zur Begründung wurde angegeben, dass sich die palästinensische Polizei weigere, den israelischen Kollegen Rechtshilfe zu gewähren, und eine Verurteilung ohne Autopsie der Leiche fraglich sei.

Die Bewohner Yitshars und umliegender Siedlungen gelten als äusserst rabiat. Wie aus verlässlicher Quelle berichtet wird, komme es fast täglich zu Anfeindungen gegen palästinensische Bauern, die ihre Olivenernte einbringen wollen. Häufig richteten die Siedler ihre Waffen gegen die Landwirte. Die verstreuten Olivenhaine würden oftdurch Zufahrtsstrassen zu den Siedlungen entzweigeschnitten, und die Landwirte gelangten zur Ernte bis an den Strassenrand. Sobald die Siedler aber näher kommender Bauern gewahr würden, rennten sie unter dem Vorwand, dass sie sich von den Palästinensern bedroht fühlten, mit schussbereiten Waffen auf sie zu und vertrieben die Leute von ihren eigenen Feldern. Die Armee gebe sich gegenüber den streitsüchtigen Siedlern meistens machtlos.

Wieder Tote und Verletzte
Jerusalem, 1. Nov. (dpa/afp) In den Palästinensergebieten sind am Mittwoch mindestens fünf weitere Personen getötet und Dutzende verletzt worden. Die seit fünf Wochen andauernden Kämpfe in den Palästinensergebieten setzten sich auch am Mittwoch fort. Am Grenzübergang Karni zwischen Israel und dem Gazastreifen wurden nach palästinensischen Angaben drei Palästinenser im Alter von fünfzehn und siebzehn Jahren erschossen, fünfzehn weitere Personen wurden verletzt. Israelische Soldaten hatten das Feuer eröffnet, nachdem Palästinenser in der Nähe des Grenzübergangs Steine und Brandsätze geworfen und auch geschossen hatten. In dem arabischen Dorf al-Khadr nahe Bethlehem im Westjordanland erschossen israelische Soldaten nach Spitalangaben einen palästinensischen Polizisten und einen weiteren Palästinenser, Dutzende wurden verletzt.

Schröder bei Arafat
Gaza, 1. Nov. (Reuters) Der deutsche Bundeskanzler Schröder hat den Palästinensern weiteredeutsche Aufbauhilfe zugesagt. Deutschland wolle vor allem Infrastrukturprojekte unterstützen und so seinen Beitrag zum Frieden leisten, sagte Schröder am Mittwoch zum Abschluss seiner Nahost-Reise nach einem Gespräch mit Arafat in Gaza Stadt. Schröder warnte Arafat indirekt vor der einseitigen Ausrufung eines Palästinenserstaates. «Einseitigkeiten aller Art» würden zu diesem Zeitpunkt den Friedensprozess behindern, sagte der deutsche Regierungschef. Das Selbstbestimmungsrecht der Palästinenser und das Recht auf einen eigenen Staat stünden ausser Zweifel.