Kölner Stadtanzeiger, 1.11.2000

Wieder Kurden abgeschoben

"Das ist ein klarer Sieg der Ausländer-Raus-Politik"

Die Flüchtlingsbeauftragte des Bistums Aachen ist empört

Düsseldorf - Trotz zahlreicher Proteste ist der 27-jährige Kurde Hüseyin Calhan am Dienstag in die Türkei abgeschoben worden. Eine Maschine mit dem Kurden an Bord sei am Mittag in Richtung Istanbul gestartet, bestätigte ein Sprecher des Innenministeriums.

Noch am Vormittag hatte das Düsseldorfer Verwaltungsgericht zwei Eilanträge gegen die Abschiebung abgelehnt. Calhan ist einer der kurdischen Sprecher im Wanderkirchenasyl, das 1999 den Aachener Friedenspreis erhalten hatte.

"Das ist ein klarer Sieg der Ausländer-Raus-Politik", sagte Andrea Genten, Flüchtlingsbeauftragte des Bistums Aachen für das Wanderkirchenasyl. "Man wollte ein Exempel statuieren und die Axt ans Wanderkirchenasyl legen", erklärte Genten. "Die politische Absicht ist nicht zu übersehen."

"Wir finden es unglaublich, wie das Innenministerium und die Stadt Wesel mit einer solchen Kaltschnäuzigkeit und gegen jeden Protest die Abschiebung durchsetzt", erklärte Gerhard Diefenbach, Vorsitzender des Vereins Aachener Friedenspreis. "Für den Herrn Calhan sieht es ganz finster aus, weil er sich politisch engagiert hat." Vieles deute darauf hin, dass Calhan bei seiner Rückkehr "Repressalien" zu erwarten habe.

Mehmet Kilic, ebenfalls Teilnehmer des Wanderkirchenasyls, sei nach seiner Abschiebung am 24. Oktober von der türkischen Zivilpolizei vorübergehend festgenommen worden, sagte Andrea Genten. "Er ist während seiner Haft mehrfach geschlagen worden. Wir sehen, dass es nicht möglich ist, diese Menschen, wenn sie einmal abgeschoben sind, wirksam zu schützen."

Die Landesvorstandssprecherin der nordrhein-westfälischen Grünen, Britta Haßelmann, erklärte in Düsseldorf, sie sei "tief enttäuscht" von Innenminister Fritz Behrens (SPD). Der Minister müsse sich fragen lassen, wie sein Eintreten für Weltoffenheit und Toleranz mit der "Hardliner-Flüchtlingspolitik" seines Ministeriums zu vereinbaren sei. "Hier liegen scheinbar zwischen den couragierten Worten und dem politischen Handeln des Innenministers Welten."

Das Tauziehen um Hüseyin Calhan hatte bis zur letzten Minute gedauert. Nachdem der Abflug-Termin verstrichen war, ohne dass die Abschiebung vollzog en wurde, hofften Calhans Helfer auf einen Gnadenakt. Calhan war am Montagabend aus dem Abschiebegefängnis Büren im Kreis Paderborn abgeholt und am Dienstagvormittag zum Düsseldorfer Flughafen gebracht worden.

Bis zum frühen Dienstagmorgen hatten nach Angaben des Aachener Netzwerkes "Asyl in der Kirche" mehr als 200 Menschen vor dem Gefängnis ausgeharrt. Neben Vertretern etlicher Kirchengemeinden hatten auch G. Grass, G. Wallraff, D. Sölle und H. E. Richter zu der Protestnacht aufgerufen, um die Abschiebung zu verhindern.

Der 27-jährige Kurde war im Kreis Wesel gemeldet, hielt sich aber mit dem Wanderkirchenasyl seit rund zwei Jahren überwiegend in Aachen auf. Auf Amtshilfeersuchen des Kreises Wesel wurde er in Aachen festgenommen und in Abschiebehaft gebracht. Seitdem setzten sich Kirchen, Initiativen und Stadt Aachen für Calhan ein. Zuletzt hatte sich auch der Aachener Bischof Heinrich Mussinghoff gegen eine Abschiebung ausgesprochen. (dpa, afp, EB)