Heilbronner Stimme, 31.10.2000

Ende des längsten Kirchenasyls in der Landesgeschichte nicht in Sicht

Von Jürgen Ruf

Seit zwei Jahren findet der Kurde Ali Sakiz mit seiner Familie Zuflucht in einem katholischen Internat in Furtwangen - Sobald er das Heim verlässt, drohen Festnahme und Abschiebung

"Ich habe Angst." Ali Sakiz sitzt in der Küche des Furtwanger Don-Bosco-Heims und sagt diesen Satz in brüchigem Deutsch immer und immer wieder: "Ich habe Angst". Der 35-jährige Kurde, seine Frau und die drei Töchter leben seit genau zwei Jahren im Kirchenasyl.

Vermutlich einmalig in Deutschland haben sich drei Kirchengemeinden zusammengeschlossen, um einer Familie zu helfen. Das Kirchenasyl der Familie Sakiz ist das bisher längste in Baden-Württemberg.

Ein Ende ist nicht in Sicht.

Eigentlich wollte Ali Sakiz in seinem Heimatdorf Kücüt Ungüt Köy als Bauer leben. Doch als Kurde wurde er nach eigenen Angaben vom türkischen Staat verfolgt.

Er fürchtete in der blutigen Auseinandersetzung zwischen Kurden und Türken um sein Leben. Sakiz floh in die Schweiz, wurde dort aber nach kurzer Zeit ausgewiesen.

In seiner Heimat wurde der Familienvater schon erwartet und am Flughafen festgenommen. Im Gefängnis sei er brutal zusammengeschlagen worden, berichtet Sakiz.

Mehrmals hätten die Sicherheitskräfte einen Hund auf ihn gehetzt. Nach der Entlassung aus dem Gefängnis seien seine Familie und er in seinem Heimatdorf vom türkischen Militär tyrannisiert worden.

1995 gelang Sakiz die zweite Flucht, diesmal nach Deutschland. Sein Asylantrag wurde abgelehnt.

Wieland Walther, damals Allgemeinmediziner in Furtwangen, fasste sich ein Herz und mobilisierte die Kirchen. Er überzeugte die Pfarrer der ortsansässigen Kirchengemeinden sowie die Patres des Salesianer-Ordens.

Die Geistlichen gaben am 28. Oktober 1998 dem angeblich ersten ökumenischen Kirchenasyl in Deutschland ihren Segen.

Die Familie Sakiz ist seither in zwei engen Zimmern im Don-Bosco-Heim untergebracht, einem kirchlichen Schüler- und Studentenwohnheim. Nur wenige Zimmer weiter hat vor Jahren Skispringer Martin Schmitt gewohnt.

Das Furtwanger Kirchenasyl findet bundesweite Beachtung, seit sich der Tübinger Rhetorikprofessor und Schriftsteller Walter Jens für die Familie einsetzt.

Familienvater Sakiz fürchtet bei seiner Rückkehr Folter. Durch die Misshandlungen im Istanbuler Gefängnis ist er schwer traumatisiert: dies belegt ein Gutachten.

Die Psychologen der Freiburger Beratungsstelle für Folteropfer bestätigen, dass dem Flüchtling eine erneute Abschiebung nicht zuzumuten sei.

Resignation macht sich bei Sakiz breit. Vor allem wegen seiner momentanen Lebenssituation.

Denn er kann die Kirchenräume nicht verlassen. Die Abschiebebehörde, das Freiburger Regierungspräsidium, erkennt das katholische Internat als Zufluchtsort an.

Doch sobald Sakiz das Heim verlässt, kann er festgenommen und abgeschoben werden. Das Kirchenasyl ist damit zum Gefängnis geworden.

Verschärft hat sich die Situation, seit das Verwaltungsgericht Freiburg Mitte September den Asylfolgeantrag der Familie abgelehnt hat.

"Wir sind total verzweifelt", sagt Asylhelfer Walther. Rechtlich seien alle Möglichkeiten ausgeschöpft.

Nun hofft Walther auf eine politische Lösung. Bis dahin geht der Alltag im Furtwanger Kirchenasyl weiter.

Dafür sorgt ein Unterstützerkreis. Bei den Helfern ist in den zwei Jahren Routine eingekehrt.

Und die Erkenntnis gereift, dass ein Leben im Kirchenasyl ein Leben in Unfreiheit ist.