Neue Ruhr Zeitung 31.10.2000

Keine Gnade für Calhan

Kreis Wesel. Jetzt ist es endgültig: Hüseyin Calhan soll heute abgeschoben werden. Gestern hatte das Verwaltungsgericht Düsseldorf das Schicksal des 27-jährigen Kurden besiegelt - mit der Entscheidung, dass kein zusätzlicher Facharzt die Reisefähigkeit des Mannes beurteilen müsse. Die Diagnose des Paderborner Amtsarztes reiche aus, da er als langjähriger Chef des psycho-sozialen Dienstes in seinem Hause als "Arzt mit Psychiatrieerfahrung" gelte. Damit revidierte das Gericht seine ursprüngliche Entscheidung vom 16. Oktober.

In Aachen und im Kreis Wesel war die Betroffenheit der zahlreichen Menschen, die sich für den Sprecher des Wanderkirchenasyls und Friedenspreisträger der Stadt Aachen eingesetzt hatten, groß. Die Weseler Amnesty Gruppe hatte beispielsweise noch bis zur letzten Sekunde Unterschriften gesammelt, bis gestern Nachmittag fast genau 464 zusammenbekommen, und diese noch an Innenminister und Ministerpräsident gefaxt - mit der Bitte, im Fall Calhan Gnade vor Recht ergehen zu lassen. Bereits am vergangenen Dienstag war ein anderes Mitglied des Wanderkirchenasyls, Mehmet Kilic, abgeschoben worden. Dessen Zustand, so Marcus Reissen, Flüchtlingsexperte aus Düren, sei ebenfalls Besorgnis erregend gewesen. Die Familie des Mannes in der Türkei habe von ihm noch nichts gehört. Menschenrechtsorganisationen weisen immer wieder darauf hin, dass Kurden in der Türkei verfolgt und auch gefoltert werden - zumal, wenn es sich um so bekannte Leute wie Hüseyin Calhan handelt. Pro Asyl hat in den vergangenen beiden Jahren 32 entsprechende Fälle dokumentiert. Sechs Bundestagsabgeordnete von Grünen und PDS aus NRW haben in einem offenen Brief an Ministerpräsident Clement gegen die Abschiebung protestiert: "Wer glaubhaft gegen Rechtsextremismus eintreten will, darf nicht in die Folter abschieben."

Calhans Anwältin hat mit einem weiteren Eilantrag versucht, die Abschiebung in letzter Sekunde zu verhindern. Ein Sprecher des Verwaltungsgerichtes konnte sich dazu gestern noch nicht äußern, betonte aber, dass ein solcher Antrag keine aufschiebende Wirkung haben müsse. In dem Antrag wird auf Calhans exponierte Stellung im Wanderkirchenasyl hingewiesen. Wird Calhan heute wirklich abgeschoben, soll er vor dem Abflug noch ein letztes Mal untersucht werden.

Carmen Friemond