Stuttgarter Nachrichten 31.10.2000

Kampf gegen Schlepper: Türkei schließt das Tor zum Westen

Istanbul - Nach zahlreichen Vorfällen will die türkische Regierung nun mit aller Kraft gegen Menschenhändler vorgehen.

Von unserer Korrespondentin

SUSANNE GÜSTEN, Istanbul

Einen rostigen Seelenverkäufer mit fast 500 halb verdursteten Flüchtlingen aus dem Nahen Osten fischte die italienische Marine erst in diesem Monat wieder aus ihren Gewässern. Das Schiff war acht Tage zuvor ohne Trinkwasser aus der türkischen Hafenstadt Izmir ausgelaufen; die türkische Besatzung wurde wegen Schlepperei verhaftet. Andere Passagiere der türkischen Menschenhändler hatten noch weniger Glück: Im August ertranken mehr als 20 Flüchtlinge aus dem Irak, dem Iran und Afghanistan, als ihr türkischer Kahn in griechischen Gewässern kenterte. Zehntausende Menschen aus Asien, Afrika und dem Nahen Osten schaffen es jedes Jahr, trotz aller Gefahren über die Türkei nach Westeuropa zu gelangen. Lange schon fordern die EU-Regierungen von Ankara ein entschlosseneres Vorgehen gegen die Schlepperei. Jetzt will die Regierung Ernst machen.

Das türkische Justizministerium legte am Montag eine gemeinsam mit dem Innenministerium erarbeitete Gesetzesinitiative vor, mit der den Menschenhändlern das Handwerk zumindest erheblich erschwert werden soll. Die Gesetzeslücke, die den Menschenhandel bisher risikolos machte, soll mit einer Strafrechtsnovelle geschlossen werden: Schlepperei soll demnach künftig als organisierte Kriminalität mit bis zu zehn Jahren Gefängnis geahndet werden. Zudem soll die Rechtsgrundlage dafür gelegt werden, dass die von Schleppern genutzten Schiffe und Lastwagen leichter beschlagnahmt werden können.

Justizminister Hikmet Sami Türk begründete seine Initiative mit dem jüngsten Anstieg der Zahl illegaler Einwanderer, die die Türkei als Durchgangsland gen Westen nutzen. Erwischten die türkischen Sicherheitskräfte 1997 und 1998 noch je knapp 30000 Menschen beim illegalen Transit, so waren es im vergangenen Jahr schon fast 50000 und in den ersten sieben Monaten dieses Jahres bereits über 40000. Und das sind nur die gefassten Illegalen. Die Zahl derer, die unbemerkt durchkommen, liegt um ein Vielfaches höher. Die Türkei ist mit ihrer 2000 Kilometer langen Landgrenze in teils unzugänglichen Regionen und ihrer 7000 Kilometer langen Küstenlinie nicht abzuschotten.

Seit Jahren schon fordern die Westeuropäer von Ankara, sie besser vor der unerwünschten Migration zu schützen. Doch als vor drei Jahren eine besonders große Flüchtlingswelle die italienische Küste erreichte und Europas Regierungen dringend um Abhilfe baten, verwies die türkische Regierung trotzig auf die kurdischen PKK-Rebellen, die sie für das Schlepperwesen verantwortlich machte. Nicht zuletzt wegen der Bestrebungen, Mitglied in der EU zu werden, zeigt sich die Türkei nun aber kooperativer. Schon im Sommer stellte die zentrale Polizeibehörde eine detaillierte Untersuchung über die wichtigsten Infiltrations- und Fluchtpunkte vor, die als Grundlage für eine bessere Grenzüberwachung dienen soll.