junge Welt, 30.10.2000

Asyl-Kampagne unerwünscht

Über 30 000 Menschen demonstrierten in Düsseldorf und Kassel gegen rechte Aufmärsche

»Ich bin davon überzeugt, daß Düsseldorf dem Haufen von Neonazis ganz entschieden entgegenruft: Genug der Untaten. Nie wieder Nazismus!« Tosender Beifall brandete am Samstag vor dem Düsseldorfer Rathaus auf, als Paul Spiegel, der Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland, seinen Appell an die Menge richtete. »Juden und Nichtjuden dürfen nie wieder einem braunen Terror unsere Straßen überlassen.« Er fügte hinzu: »Wir sind die große Mehrheit und erteilen dem Pöbel und dieser Ideologie allein durch unsere Anwesenheit eine deutliche Absage.« Sein Optimismus sei durch die Kundgebungen in Düsseldorf und vor einer Woche in Dortmund, wo ebenfalls rund 20 000 Menschen gegen Rechts demonstriert hatten, »wieder ein bißchen gestiegen«, betonte Spiegel. Allerdings sei weiter Wachsamkeit notwendig. Rund 25 000 Menschen waren trotz regnerischen Wetters dem Aufruf des Bürgerbündnisses gegen rechte Gewalt, dem sich über 80 Organisationen angeschlossen hatten, gefolgt, um gegen die zeitgleich stattfindende Demonstration von knapp 300 Neonazis zu protestieren.

Nicht erwünscht war offensichtlich bei einigen Teilnehmern die Teilnahme der Kampagne »kein Mensch ist illegal«, die auf die Abschiebepolitik der Landes- und Bundesregierung hinweisen wollte. Es kam zu kleineren Rempeleien und Beschimpfungen. Die Kampagne wollte vor allem gegen die schon erfolgte Abschiebung des kurdischen Flüchtlings Mehmet Kilic und die rechtskräftig beschlossene Abschiebung von Hüsseyin Calhan protestieren. Dazu wurde ein von mehreren Bundestagsabgeordneten der PDS und der Grünen unterzeichneter offener Brief an Ministerpräsident Clement verteilt.

Der Marsch der Neonazis führte über die Rheinpromenade zum NRW-Innenministerium, in dessen unmittelbarer Nähe eine Kundgebung durchgeführt wurde. Die Polizei war bemüht, beide demonstrierenden Lager strikt voneinander abzuschirmen. Dazu war der größte Polizeieinsatz Düsseldorfs in der Nachkriegsgeschichte notwendig: Weit über 3 000 Beamte versuchten, die Lage unter Kontrolle zu halten. Auch Polizisten aus anderen Bundesländern - darunter Thüringen und Sachsen-Anhalt - waren am Rhein im Dienst.

Bei antifaschistischen Versuchen, den Aufmarsch und die Kundgebung der Neonazis direkt zu behindern kam es immer wieder zu Auseinandersetzungen zwischen Demonstarnten und der Polizei, die sich auf ein angebliches Verbot aller Spontandemonstrationen für diesen Tag berief. Mehr als 200 Teilnehmer wurden vorübergehend in Gewahrsam genommen. Nach Berichten von Augenzeugen kam es immer wieder zu vereinzelten Übergriffen von Polizisten gegen antifaschistische Demonstranten, auch durch Beamte eines Sondereinsatzkommandos.

In Kassel, wo ebenfalls ein Neonazi-Aufmarsch stattfand, kamen 6 000 Menschen zu einer Gegendemonstration. Auch diese Demonstration gegen eine Veranstaltung der rechtsradikalen »Interessengemeinschaft für die Wiedervereinigung Gesamtdeutschlands« (IWG) verlief weitgehend friedlich. Nach Angaben der Polizei wurden gegen sieben linke Demonstranten Platzverweise ausgesprochen. Sie hatte versucht, auf den abgeriegelten Platz vorzudringen, auf dem die etwa 80 Rechtsextremisten ihre Veranstaltung abhielten.

Zu der Demonstration in Kassel hatten 85 Gruppen und Einzelpersonen unter dem Motto »Eine Stadt steht auf« aufgerufen. Der Magistrat der Stadt hatte zunächst ein Verbot gegen das Treffen der IWG mit der Begründung erlassen, daß der verurteilte Neonazi Christian Worch als Redner angekündigt war. Der hessische Verwaltungsgerichtshof hatte das Verbot aber am Donnerstag aufgehoben. Er sah keine Gefährdung der öffentlichen Ordnung und der Sicherheit durch diesen Redner.

(jW/AP/AFP)