Süddeutsche Zeitung, 30.10.2000

"Wir sind bereit für den Kampf"

Palästinenser setzen Intifada fort

Marwan Barguti ist Anführer von Jassir Arafats Fatah-Organisation im Westjordanland. Er nahm schon an der ersten Intifada (1987-1993) teil und wurde damals von den Israelis nach Jordanien ausgewiesen. Den Befehl gab Ehud Barak, damals Militärkommandeur in den besetzten Gebieten. Mit Barguti sprach in Ramallah Heiko Flottau.

SZ: Am Wochenende gab es wieder schwere Kämpfe im Westjordanland. Dem Abkommen von Scharm el-Scheich nach hätte Jassir Arafat diese Gewalt verhindern müssen.

Barguti: Ich glaube, die Israelis hätten die Gewalt verhindern müssen. Unsere Demonstrationen finden auf palästinensischem Territorium statt. Wir haben das Recht dazu. Die Frage ist, was machen die Israelis hier?

SZ: Ist der Friedensprozess tot?

Barguti: Wir haben ein Abkommen nach dem anderen abgeschlossen. Keines wurde von den Israelis eingehalten. Die Demonstranten auf den Straßen fühlen keinen wahren Frieden. Die neue Protest-Generation ist die Generation des in Oslo begonnenen Friedenprozesses. Sie ist enttäuscht über diese Art Frieden. Es ist kein Frieden.

SZ: Hat Arafat Weisung gegeben, die Situation zu beruhigen?

Barguti: Die Menschen hier reagieren nicht wie ein Fernsehapparat auf eine Fernbedienung. Sie handeln nach ihren Gefühlen und Überzeugungen.

SZ: Was berichten Sie Jassir Arafat über die Lage in Ramallah?

Barguti: Ich sage ihm, dass die Menschen bereit sind für den Kampf. Wir sind bereit, die Intifada fortzusetzen.

SZ: Was antwortet Arafat?

Barguti: Es ist ganz klar, er unterstützt uns. Natürlich ist er auf Seiten der Intifada. Absolut.

SZ: Aber er steht unter dem Druck der Israelis und der Amerikaner. Kann er die Intifada beenden?

Barguti: Israelis und Amerikaner üben schon einen Monat Druck aus. Aber die Intifada geht weiter. Arafat ist immer auf Seiten seines Volkes.

SZ: Es heißt, Sie persönlich träten mehr für die Intifada ein als Arafat. Welche Meinungsverschiedenheiten gibt es?

Barguti: Manchmal glaube ich nicht an Gespräche wie die in Scharm el-Scheich. Wir müssen die Spielregeln ändern. Wir müssen verhandeln und zur gleichen Zeit die Intifada fortsetzen.

SZ: Welche Bedingungen stellen Sie für die Wiederaufnahme der Gespräche?

Barguti: Die Beendigung der Blockade palästinensischer Städte.

SZ: Und dann wird auf der Basis von Oslo weiter verhandelt?

Barguti: Wir verhandeln nur über ein Thema, über den Zeitplan des israelischen Rückzuges aus allen besetzten Gebieten.

SZ: Einschließlich der Siedlungen?

Barguti: Selbstverständlich.

SZ: Ostjerusalem wird Hauptstadt?

Barguti: Natürlich. Die Menschen sind bereit, sich für Jerusalem zu opfern.

SZ: Die Intifada ist also ein Mittel, um Israel unter Druck zu setzen?

Barguti: Natürlich, warum denn nicht.