Frankfurter Rundschau, 30.10.2000

Barak macht Likud viele Zugeständnisse

Zähe Koalitionsgespräche in Israel / Tote bei Unruhen

Von Inge Günther

Ergebnislos ist am Sonntag ein Gespräch zwischen Israels Premier Ehud Barak und Oppositionschef Ariel Scharon über die Bildung einer großen Koalition verlaufen. Obwohl sich die Emissäre der regierenden Arbeitspartei und des oppositionellen Likud weitgehend einig schienen, ließen sich die letzten Streitpunkte bei dem Spitzentreffen der Parteiführer nicht ausräumen.

JERUSALEM, 29. Oktober. 24 Stunden vor Beginn der neuen Sitzungsperiode in der Knesset besaß Premier Barak am Sonntag noch immer keine Mehrheit. Dennoch bleibe eine Notstands-Regierung vordringliches Ziel, um den Staat durch die aktuelle Krisensituation zu lenken, sagte er. Man verlange nicht, dass "der Likud seine Standpunkte aufgibt, genauso wenig natürlich geben wir unsere auf". Als letzte Hürde galt der Anspruch Scharons auf ein Vetorecht in allen Fragen des Friedensprozesses. Bei Konsultationen mit seinen Ministern bekräftigte Barak, dass er diese Forderung "unter keinen Umständen" akzeptieren werde. Die Vereinbarung von Scharm-el-Scheich zur schrittweisen Deeskalation bleibe bindend. Sie hält auch den Weg zu neuen Gesprächen mit den Palästinensern offen. Sollten die Unruhen nachlassen, zeigte sich Barak willens, das Angebot von US-Präsident Bill Clinton zu separaten Gesprächen mit ihm und PLO-Chef Yassir Arafat anzunehmen. Scharon reagierte auf diese Äußerung verärgert.

Ein weiterer Unsicherheitsfaktor resultiert aus dem Widerstand an der Basis und in den Parteigremien des Likud gegen eine große Koalition. Dort setzen viele auf den früheren Premier Benjamin Netanyahu und würden mit ihm als Zugpferd lieber Neuwahlen forcieren. Die jedoch sind vorerst nicht in Sicht, nachdem die religiöse Schas-Partei, drittgrößte Fraktion in der Knesset, Barak für die nächsten Wochen ein "Sicherheitsnetz" versprochen hat. Mit Rücksicht auf die Krisenlage werde man kein Votum unterstützen, das den Sturz Baraks zum Ziel habe, sagte Schas-Vorsitzender Eli Yischai.

Kompromisse zeichneten sich dennoch ab, um Scharons Verlangen nach Aufgabe des bisherigen Friedensprozesses entgegen zu kommen. Demnach soll sich die angestrebte Notstands-Regierung einem "anderen" Friedensprogramm verpflichten und auf jeden Bezug zu den Osloer Verträgen oder den Verhandlungsgrundlagen von Camp David verzichten. Auch lehnt die Arbeitspartei nicht länger Scharons Beharren auf einstimmigen Entscheidungen im Sicherheitskabinett ab.

Arafat kündigte derweil in Gaza die Fortsetzung der "Intifada für Unabhängigkeit" an. Man werde so lange kämpfen, bis "die palästinensische Flagge über Jerusalem, der Hauptstadt Palästinas" gehisst werde. Bei erneuten blutigen Auseinandersetzungen in den Palästinenser-Gebieten wurden vier Palästinenser getötet.

Die Liga der Arabischen Staaten forderte Bundeskanzler Gerhard Schröder nach dessen Worten zu einer größeren Rolle Europas im Nahen Osten auf. Schröder traf am Abend nach seinem Besuch in Kairo in Libanon ein.

Trotzdem soll wieder Normalität in das Leben der Palästinenser einziehen. Arafat hat die Universitäten in den besetzten Gebieten angewiesen, den Betrieb wieder aufzunehmen. Die Geschäfte sind geöffnet. Ariel Scharon, der Chef der rechten Likud-Partei, dessen provokativer Auftritt an den muslimischen Stätten in der Altstadt von Jerusalem Ende September die Unruhen auslöste, tritt nun für eine »neue Außenpolitik« der von ihm geforderten »Notstandsregierung« ein. Sie soll eine Interimsvereinbarung ohne zeitliches Limit mit den Palästinensern aushandeln. Siedlungsbau und Besatzung könnten dann fortgeführt werden.

Peter Schäfer