Frankfurter Rundschau, 28.10.2000

Erneut Gewalt nach Freitagsgebet

Soldaten erschießen Palästinenser / Clinton berät mit Barak

Auch einen Monat nach Beginn der Gewaltwelle in den Palästinenser-Gebieten nehmen die Kämpfe kein Ende. Mindestens drei Palästinenser wurden von israelischen Soldaten erschossen, als nach den Freitagsgebeten der Moslems im Westjordanland und im Gaza-Streifen die Konfrontation eskalierte.

JERUSALEM/GAZA/GENF, 27. Oktober (dpa/afp/ap). Während die befürchtete Gewalt auf dem Haram al-Scharif in Jerusalem ausblieb, kam es an zahlreichen Orten in den Palästinenser-Gebieten nach den Freitagsgebeten zu schweren Unruhen. Nach Steinwürfen von Palästinensern schossen israelische Soldaten mit gummiummantelten Stahlgeschossen. Drei junge Palästinenser wurden dabei in Ramallah, Tulkarm und Kalkilia im Westjordanland getötet. Fünf der mindestens 65 Verwundeten erlitten nach Palästinenserangaben schwere Verletzungen.

Palästinensische Organisationen hatten den Freitag wieder zu einem "Tag des Zorns" erklärt. Im Gaza-Streifen nahmen am Nachmittag mehrere tausend Sympathisanten des islamischen Dschihad ("Heiliger Krieg") an der Beerdigung des am Donnerstag bei einem Selbstmordanschlag auf einen Armeeposten getöteten Palästinensers teil.

Sechs israelische Polizisten wurden vom Dienst suspendiert, weil sie die mutmaßlichen palästinensischen Mörder zweier Soldaten misshandelt haben sollen. Wie der israelische Militärrundfunk meldete, erstatte einer der Palästinenser Anzeige gegen die Beamten. Demzufolge schlugen die Polizisten ihre Gefangenen. Justizminister Jossi Beilin bestätigte die Suspendierung und betonte, Israelis dürften sich "in keinem Fall" ähnlich verhalten wie die Lynchmörder.

In mehreren Dörfern der Palästinensergebiete ist nach Angaben des UN-Kinderhilfswerks Unicef das Trinkwasser auf Grund der israelischen Abriegelungen knapp geworden. Die Absperrungen hinderten zudem zahlreiche Bauern daran, zu ihren Feldern zu gelangen

Der US-Präsident beriet unterdessen erneut telefonisch mit Barak über die Lage in den Krisengebieten. Eine Entscheidung über ein mögliches Treffen in Washington sei dabei nicht getroffen worden, sagte ein US-Sprecher. Die Clinton-Regierung distanzierte sich von einer Nahost-Resolution des US-Repräsentantenhauses, die die palästinensische Führung für die anhaltende Gewalt verantwortlich macht.

Bei den Gesprächen über die Bildung einer "Regierung des nationalen Notstands" in Israel zeichnete sich weiterhin kein Durchbruch ab.