Frankfurter Rundschau, 27.10.2000

Debatte

Glück unterstützt Forderung nach Leitkultur

MÜNCHEN, 26. Oktober (dpa/kna). CDU/CSU-Fraktionschef Friedrich Merz hat für seine umstrittene Forderung nach einer "deutschen Leitkultur" massive Unterstützung aus München bekommen. Der Vorsitzende der CSU-Grundsatzkommission, Alois Glück, forderte im Bayernkurier, das Prinzip der Leitkultur gerade für die Gestaltung der Zuwanderung anzuwenden. Viele der Reaktionen auf Merz' Äußerungen seien nur polemisch und auf Diskreditierung bedacht gewesen, schrieb Glück, Chef der bayerischen CSU-Landtagsfraktion, in dem Parteiblatt. Glück will den Begriff der Leitkultur als Alternative zum Bild einer multikulturellen Gesellschaft verstanden wissen, die vom unverbundenen Nebeneinander der verschiedenen Bevölkerungsgruppen geprägt sei.

Der Streit um das Wort von der "deutschen Leitkultur" kann nach Meinung des Grünen-Politikers Cem Özdemir möglicherweise zu einer lang versäumten Begriffsklärung führen. In der Einwanderungspolitik müsse es um die Integration, nicht aber um die Assimilation der Zuwanderer gehen, sagte er am Donnerstag im Südwestrundfunk. Özdemir betonte, wer unter dem Begriff der deutschen Leitkultur den Versuch verstehe, Menschen zu assimilieren, sozusagen um jeden Preis ihre Anpassung an hiesige Lebensverhältnisse fordere, der verkenne die gesellschaftliche interkulturelle Realität in Deutschland. Assimilation ziele auf eine "Art Germanisierung" ab. Integration bedeute für ihn, sich an das Grundgesetz zu halten, aber auch, das hiesige Schulsystem zu akzeptieren und sich ins Ausbildungs- und Arbeitsleben einzubringen, sagte Özdemir. Der Göttinger Politologe Bassam Tibi erläuterte derweil den von ihm geprägten Begriff der "Leitkultur": "Dazu zähle ich die Grundrechte, eine Trennung zwischen Religion und Politik, individuelle Menschenrechte und religiösen Pluralismus", sagte Tibi dem Tagesspiegel.

Merz verteidigte seine Äußerung. Er sehe nicht ein, dass sich die Politik durch die fremdenfeindlichen Übergriffe der jüngeren Zeit diese Debatte verbieten lassen solle, so Merz am Dienstagabend in Berlin. Dann hätte eine "radikale, unanständige, kleine Minderheit" in diesem Land die Auseinandersetzungen um das Thema, die in der Mitte der Politik geführt werden müsse, verhindert.