Freitag, 27.10.2000

NAHOST

Im Schatten der Väter

Beim vorläufigen Ende des Friedensprozesses stehen Syrien und Jordanien unter ihren jungen Führungen eher an der Perepherie des Geschehens

Ferhad Ibrahim

Es ist die erste große Nahostkrise für die jungen Führer in Syrien und Jordanien. Eine Krise, die beide Länder in ungewohnter Nebenrolle erleben. König Abdallahs Beteiligung am Krisengipfel von Scharm al-Sheikh blieb symbolisch. Als Vermittler war der junge Monarch nicht gefragt. Gleichwohl hatten vor allem die USA, aber auch Israel und Ägypten großen Wert auf eine jordanische Teilnahme gelegt. Alle drei treibt die Angst vor einer möglichen Destabilisierung Ammans. Ein Aufstand der palästinensischen Bevölkerungsmehrheit in Jordanien oder ein Bruch des israelisch-jordanischen Friedensvertrages von 1994 würden die Situation im Nahen Osten dramatisch verschärfen.

Der syrische Staatspräsident, Bashar al-Assad, blieb dem Treffen ganz fern, was durchaus als normal gelten kann. Neu hingegen war, dass der junge Präsident seine obligatorische Solidaritätsbotschaft Arafat persönlich per Telefon überbrachte. Damit scheint das Eis zwischen der syrischen und palästinensischen Führung gebrochen zu sein. Bashars Vater, Hafiz al-Assad, hatte in der PLO allenfalls einen Juniorpartner gesehen. Seit der syrischen Intervention im libanesischen Bürgerkrieg 1976, die von vielen Palästinensern als direkte Hilfe für die rechtsgerichteten christlichen Milizen gewertet wurde, herrschten zwischen beiden Seiten offenes Misstrauen und Feindseligkeit.

Doch am ungewohnten Bild, dass sich Syrien und Jordanien an der Peripherie des nahöstlichen Geschehens wiederfinden, ändert all dies wenig. Von den vielen Hoffnungen, die mit dem Generationswechsel in Amman und Damaskus verbunden wurden, scheint sich vorerst nur eine zu bestätigen: Alte Rivalitäten, Feindseligkeiten und Animositäten verblassen, und ein neuer Politikstil hält Einzug. In die regionalpolitischen Fußstapfen ihrer Väter können derzeit jedoch weder Bashar al-Assad noch Abdullah II. treten.

Dies liegt zum einen natürlich an dem politischen Gewicht ihrer Väter, das diese über mehrere Dekaden konfliktreicher und kriegerischer Entwicklung in der Region aufbauen konnten. König Hussein und Hafiz Assad haben sich sowohl innerhalb der arabischen Welt als auch auf der internationale Bühne Respekt verschafft. Der kluge und besonnene König Hussein galt zu Recht als einer der wichtigsten Führer der arabischen Welt. Präsident Assad wurde von Henry Kissinger, der 1973-1974 die nervenraubenden Verhandlungen über die Entflechtung der syrisch-israelischen Truppen führte, als klügster arabischen Führer bezeichnet. Aus der Feder Kissingers stammte auch die Formel: kein Frieden im Nahen Osten ohne Syrien.

Hussein und Assad haben in der Zeit ihrer Herrschaft fast vergessen lassen, dass Syrien und Jordanien im nahöstlichen Staatensystem wirtschaftlich eher zu den ärmeren Länder zählen. Sie haben weder das historische Gewicht oder die menschlichen Ressourcen Ägyptens, noch die finanzielle Potenz eines arabischen Erdölstaates wie Saudi-Arabien. Vor den Erben stehen deshalb in erster Linie innenpolitische Herausforderungen. Beide Regenten wissen, dass ihre Länder in ihrem gegenwärtigen ökonomischen Zustand nicht überlebensfähig sind. Sie brauchen die Friedensdividende, um akute Wirtschaftsprobleme in Angriff zu nehmen. Langfristig aber wird es auch in der arabischen Welt darum gehen, günstige Bedingungen für in- und ausländische Investoren zu schaffen. Das aber heißt, umfassende Reformen und eine radikale Umstrukturierung der bisherigen Verhältnisse. König Abdullah hat denn auch »Demokratisierung, Liberalisierung und Privatisierung« als Rezept gegen die vielfältigen Herausforderungen erkannt - und benannt.

Es ist anzunehmen, dass Bashar Al-Assad nicht anders denkt. Nur sagen kann er dies nicht. Bei seiner Antrittsrede im vergangenen Juni lehnte er »westliche Demokratie« explizit ab, insistierte auf der Führungsrolle des Staates in der Wirtschaft und Gesellschaft und wollte auch auf die Dominanz seiner Baath-Partei nicht verzichten. Gleichzeitig plädierte der neue Präsident unaufhörlich für Reformen und Modernisierung. Ganz offensichtlich braucht er noch einige Zeit, um die loyale, aber korrupte »alte Garde«, die sich in der langen Herrschaftszeit seines Vaters herausbildete durch eine moderne junge Elite zu ersetzen. Doch selbst dann stehen die Chancen für eine Demokratisierung eher schlecht, weil ein solcher Prozess mit Sicherheit die Dominanz der Alawiten (etwa zehn Prozent der Bevölkerung) in Staat, Wirtschaft und Militär gefährden würde.

Sowohl Bashar al-Assad als auch Abdullah müssen der Innenpolitik ein höheres Primat einräumen als ihre Väter das je getan haben. Doch deswegen werden sie sich aus dem nahöstlichen Machtpoker nicht verabschieden. Das kann kein regionaler Akteur. Beide stehen allerdings vor der Aufgabe, sich durch den Aufbau einer eignen innenpolitischen Hausmacht Freiräume und Konditionen für eine aktive Außenpolitik zu schaffen. Abdullah hat es dabei etwas einfacher als der junge Assad. Sein Vater hat ihm durch den Vertrag mit Israel eine große Bürde genommen. Hafiz Al-Assad hingegen hinterließ seinem Sohn ein ungleich schwereres Erbe. Der Nachfolger muss nun entscheiden, ob die Fortsetzung der Verhandlungen mit Israel für seine Herrschaft unabdingbar und systemstabilisierend ist. Er kann nicht anders, als den Standpunkt seines Vaters ohne Abstriche zu übernehmen und wird - wenn er sich denn für einen Frieden mit Israel entscheidet - diesen innen- und regionalpolitisch durchzusetzen haben.

Unser Autor lehrt westasiatische Geschichte an der Universität Erfurt.