Berliner Zeitung, 27.10.2000

DIPLOMATIE

Schröder reist ins "Minenfeld" Naher Osten

Gerold Büchner

BERLIN, 25. Oktober. Dass er Krisen und Konflikte nicht scheut, hat Gerhard Schröder hinlänglich bewiesen. Am Sonnabend nun begibt er sich auf eine Reise in das gefährlichste Krisengebiet, das die Welt derzeit zu bieten hat: Binnen fünf Tagen besucht der Bundeskanzler fünf Nahost-Staaten und die Palästinensergebiete. Von einer "schwierigen Mission" ist in Regierungskreisen in Berlin die Rede, aber auch davon, dass Deutschland und Europa die Nachbarregion gerade jetzt nicht im Stich lassen dürften - schon in ihrem eigenen Interesse. Denn bei einer weiteren Eskalation der Gewalt drohten auch den Europäern ein Anstieg der Ölpreise und Terrorakte.

Schröder wird in Ägypten, Jordanien, Israel und - als erster Bundeskanzler überhaupt - in Syrien und Libanon die jeweiligen Staats- und Regierungschefs treffen. Zum Abschluss am kommenden Mittwoch ist in Bethlehem ein Gespräch mit Palästinenserchef Yasser Arafat geplant. Die Reise soll vor allem ein "Zeichen der Solidarität" setzen: Deutschland will dazu beitragen, dass Israelis und Palästinenser auf Gewalt verzichten und zu Verhandlungen über eine Friedensregelung zurückkehren. Eine Vermittlerrolle indessen maßt sich der Nahost-Reisende Schröder nicht an. Dafür seien die USA zuständig und unersetzlich, heißt es in Berlin. Deutschland könne im Zusammenspiel mit den europäischen Partnern allerdings unterstützend wirken. Es sei augenfällig, dass die Bedeutung Europas in der Region zunehme. Als Beleg dafür wird die Teilnahme des außenpolitischen EU-Repräsentanten Javier Solana am jüngsten Gipfel der Nahost-Kontrahenten in Scharm el-Scheich angeführt. Selbst Israel habe ihm bescheinigt, eine konstruktive Rolle gespielt zu haben. Die Regierung in Jerusalem hat sich bisher gegen eine stärkere politische Beteiligung der Europäer am Friedensprozess gewandt.

Der Kanzler, so heißt es in seiner Umgebung, werde die Konfliktparteien auffordern, keine "einseitigen Schritte" zu unternehmen. Damit sind die Palästinenser gemeint, die darauf brennen, einen eigenen Staat auszurufen, aber ebenso die Israelis, deren Premier Barak bereits laut über ein Ende jeglicher Zusammenarbeit mit dem Nachbarvolk nachgedacht hat. Zwar halten Deutschland und seine EU-Partner einen unabhängigen palästinensischen Staat für legitim und unausweichlich. Er müsse aber "in der Realität wurzeln" und mit Israel abgestimmt sein, hieß es in Berlin. Außenminister Joschka Fischer sagte, gerade weil das Existenzrecht Israels für die Bundesregierung außer Frage stehe, könne sie für einen Palästinenserstaat eintreten.

Angesichts der Eskalation der Gewalt hatte Schröder den Regierungskreisen zufolge lange geschwankt, ob er die Reise verschieben solle, nachdem die Region sich in "eine Art diplomatisches Minenfeld" verwandelt habe. Der Kanzler sei aber aus allen Staaten auf der Route dringend gebeten worden zu kommen. "Eine Absage oder Verschiebung hätte Enttäuschung hervorgerufen." Deutschland sei es den Menschen in der Region schuldig, seinen Beitrag zum Frieden zu leisten. Gekürzt wurde allerdings das kulturelle Rahmenprogramm, und auch Gespräche über Wirtschaft und Handel haben kaum Platz.

Ohnehin droht über der Krise die Pflege der bilateralen Beziehungen in den Hintergrund zu geraten. Besonders im Fall Syrien hofft die Bundesregierung auf eine engere Zusammenarbeit. Den Weg dazu ebnen soll eine Regelung für die syrischen Altschulden in Höhe von 2,5 Milliarden Mark, die kurz vor dem Abschluss stehe. Dann könnten auch 62 Millionen Mark Entwicklungshilfe nach Damaskus fließen. In den jungen syrischen Präsidenten Baschar Assad, der im Sommer seinem verstorbenen Vater Hafis Assad nachgefolgt ist, setzt Berlin einige Hoffnungen: Er habe eine "schrittweise Reformpolitik" in dem bisher abgeschotteten Land begonnen, brauche aber für die Öffnung Zeit.

Zu Syrien bestanden unter allen jetzt besuchten Staaten die geringsten Kontakte. Hafis Assad hatte vor 22 Jahren Deutschland besucht, noch kein Bundeskanzler dagegen Damaskus. Zuletzt war Helmut Kohl 1995 durch die Region gereist. Nachdem die meisten der nahöstlichen Führungspolitiker in jüngerer Zeit nach Berlin gekommen sind, war es daher den Angaben zufolge an der Zeit für einen "Gegen- und Antrittsbesuch" Schröders.

Im Bundestag sagten am Mittwoch alle Parteien dem Kanzler Unterstützung für seine Reise zu. Uneinigkeit bestand über den Vorschlag des ehemaligen Außenministers Klaus Kinkel (FDP), eine Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Nahost nach dem Vorbild der KSZE ins Leben zu rufen. Während Joschka Fischer betonte, es gebe bereits alle nötigen Verhandlungsforen für Nahost, wurde in Regierungskreisen die regionale Kooperation als "richtiger Ansatz" gelobt.

"Die Solidarität mit Israel schließt unseren besonderen Einsatz für einen fairen Ausgleich mit den Palästinensern ein. " Karl Lamers (CDU)